Agnethlen

Name: Agnetheln (deutsch), Ognitheln (sächsisch), Agnita (rumänisch), Szentágota (ungarisch).
Der Name geht auf die heilige Agnetha zurück, die laut Sage den Ort gegründet haben soll. Die siebenbürgische Kleinstadt Agnetheln liegt im Harbachtal 450 m ü. M., im Schnittpunkt der imaginären Verbindungslinien zwischen den Städten Hermannstadt-Schäßburg und Mediasch-Fogarasch, fast im geografischen Zentrum Rumäniens. Agnetheln wurde vor über 700 Jahren von deutschen Siedlern gegründet.

Die Geschichte

1141-1162 Während der Herrschaft des ungarischen Königs Geysa II werden für Gebiete Siebenbürgens Siedler aus westlichen Teilen Europas, meist Deutsche aus dem Heiligen Römischen Reich (Rhein-Moselgebiet, Flandern, Luxemburg, u. a.), angeworben. Diese wachsen im Laufe der Zeit zum Stamm der Siebenbürger Sachsen zusammen. Die Siedler entwickeln auf der Grundlage eines moselfränkischen Dialektes eine weitgehende sprachliche Vereinheitlichung im ganzen Siedlungsgebiet zum heutigen Siebenbürgisch-Sächsischen. Die Siedler erlangen im Laufe der Jahrhunderte ihr Gewicht nie und nicht durch ihre Zahl, sondern nur durch ihre Leistung.

1280 Die erste urkundliche Erwähnung Agnethelns erfolgt im Zusammenhang mit dem Verkauf von Grund und eines Mühlenanteils in Probsdorf an Henricus de sancta Agatha.
Nach einer Ortssage lag Agnetheln ursprünglich nicht im Harbachtal, sondern im Altbachtal zwischen den Dörfern Schönberg und Werd. Eine Riedbezeichnung aus dieser Gegend heißt Oald Kirch (Alte Kirche), was auf eine frühere Bebauung im Altbachtal hindeuten könnte.

1338 Ab diesem Jahr grassiert die Pest regelmäßig und lichtet die Reihen der Bevölkerung. Diese apokalyptische Geißel des Mittelalters ist in Agnetheln im Laufe der Jahrhunderte nachweislich 21-mal, mit teils verheerenden Folgen für die Bevölkerung aufgetreten, wobei die Epidemie von 1601 bis 1603 wohl die verlustreichste war.

1376 Agnetheln wird von König Ludwig I das Marktrecht, also das Recht einen Jahrmarkt abzuhalten, verliehen.

1457 Agnetheln wird erstmals als Marktflecken erwähnt

1460 Erste urkundliche Bezeugung einer Schule

1466 König Matthias Corvinus verleiht Agnetheln die Blutgerichtsbarkeit (jus gladii), also das Recht Todesurteile selbst zu fällen und zu vollstrecken. Bis zu diesem Zeitpunkt besitzt dieses Recht im Schenker Stuhl (dem Agnetheln angehörte) nur der Stuhlvorort Großschenk.

1500 Bereits die vor dieser Zeit bestehenden verschiedenen Gewerbe schließen sich nach und nach in Zünften zusammen. Die erste um das Jahr 1500 urkundlich erwähnte Zunft ist die der Schuster. Es folgt die Schmiedezunft 1524, die Schneiderzunft 1539 und die Zunft der Wagner 1569. Die Fassbinderzunft ist gewiss viel älter als die der Wagner, wird aber erst später urkundlich erwähnt. Spätestens seit 1569 besteht auch eine Union der sächsischen Ledererzünfte. Von der Agnethler Kürschnerzunft sind aus dieser Zeit keine unmittelbaren Angaben bekannt, obwohl diese zu den ältesten Zünften gehört. Den vier größten Zünften werden die Wartung und die Verteidigung der vier Wehrtürme der Kirchenburg, die auch deren Namen tragen, anvertraut.
Jede Zunft besaß eine Zunftlade, in der sämtliche Dokumente der Zunft aufbewahrt wurden. Sie war das Symbol der Amtsgewalt und wurde in feierlichem Umzug alle zwei Jahre, vom alten zu dem neu gewählten Zunftvorsteher gebracht. Das Überbringen der Bruderschaftslade der Gesellen vom alten zum neu gewählten Gesellenvater erfolgte zwei Wochen später und manchmal in Begleitung von Urzeln. Die größeren Zünfte hatten ihre eigenen Fahnen, die bis heute in der Kirche aufbewahrt werden. Sie tragen die beeindruckenden Jahreszahlen 1635 (Schneiderzunft), 1767 (Schusterzunft) und 1822 (Fassbinderzunft), die älteste erhaltene original- Fahne (siehe Foto im Anhang). Die altersschwachen Fahnen der Schneiderzunft und die der Schusterzunft wurden im Jahre 1850 bzw. 1892 durch neue Fahnen ersetzt. Die Fahne der Kürschnerzunft trägt die Jahreszahl 1849.
Obwohl im Jahre 1872 durch ungarisches Gesetz die Gewerbefreiheit eingeführt und die Zünfte in Siebenbürgen aufgelöst werden, halten die Zünfte in Agnetheln an ihrer Tradition bis zum Zweiten Weltkrieg fest. Die Schusterzunft legt sich im Jahre 1900 eine neue Fahne zu mit der gesetzkonformen Bezeichnung Genossenschaft anstelle von Zunft (siehe Foto im Anhang).

1532 Als Agnetlin am Harbach ist der Marktflecken als einer der bedeutendsten Orte auf der berühmten Siebenbürgenkarte von Honterus eingezeichnet. Sie ist die älteste bildliche Darstellung Agnethelns.

1689 Wird zum ersten Mal der Mummemschanz der Zünfte erwähnt. Die maskierten Gestalten dieses Maskenfestes könnten die Vorläufer der Urzeln gewesen sein.

1703 Beginnt der Kurutzenkrieg, ein antihabsburgischer bürgerkriegsähnlicher Aufstand des ungarischen Adels. Der Krieg dauert fast zehn Jahre und hinterlässt tiefe Spuren in vielen Ortschaften, so auch in Agnetheln. Außer den Opfern dieses Krieges sterben in den Jahren kurz danach auch viele Agnethler an der Pest, so auch ihr damaliger Pfarrer. Da er samt Kirchenbüchern verbrannt wurde, kann die Ahnenforschung nur bis zum Jahre 1720 betrieben werden.

1769, 8. Juli Verheerende Feuersbrunst, der beinahe zwei Drittel der Gemeinde zum Opfer fallen. Eine weitere, ähnlich schreckliche Feuersbrunst gab es am 25. Juli, am Jakobustag, im Jahre 1834. Zum Gedenken an diesen großen Unglückstag wurde des Jakobustages in der Kirche besonders gedacht und mit Abendmahl gefeiert. Ganze Straßenzüge fallen auch den Bränden aus den Jahren 1848 und 1859 zum Opfer.
Durch brandtechnisch verbesserte Bauweise der Häuser, z. B. dem Bau von Steinhäusern mit Ziegeldächern statt mit Stroh gedeckter Holzhäuser, sowie durch die Gründung einer Freiwilligen Feuerwehr (1876) mit entsprechender Ausstattung werden weitere Brände zwar nicht ganz verhindert, aber sie erlangen bei Weitem nicht mehr die apokalyptischen Ausmaße früherer Brände.

1774 Samuel von Brukenthal wird von der Kaiserin Maria Theresia zum Gubernator (Gouverneur) Siebenbürgens mit Sitz in Hermannstadt ernannt und behält dieses Amt bis 1787.

1795 Bau des orthodoxen Pfarrhauses (Parohie). In seinen Räumlichkeiten befindet sich die erste rumänische Schule Agnethelns.

1795-1797 Bau der ersten rumänisch-orthodoxen Kirche Sfântu Nicolae (geweiht erst 1821) auf einer Anhöhe am südöstlichen Stadtrand Agnethelns, von den Sachsen Än den Bliochen genannt. Davor und vor allem danach wurde hauptsächlich dieses Gebiet nach und nach von Rumänen besiedelt. Es sollten aber fast zweihundert Jahre vergehen, bis deren Anzahl die der sächsischen Bewohner einholte und schließlich überholte.
In rumänischen kirchlichen Quellen wird anerkennend erwähnt, dass die sächsische Gemeinde, vertreten durch den Notar Martin Schuller, sich ihren Belangen immer aufgeschlossen gezeigt und die rumänische Kirche und Schule finanziell unterstützt hat.

1815 Eröffnung der ersten Apotheke,Zur Heiligen Agnetha, mit Sitz auf dem Markplatz. Die Apotheke wird fast hundert Jahre von Mitgliedern der Gründerfamilie Kaufmann betrieben.

1905 wird die Apotheke von Wilhelm Fröhlich übernommen und ab 1921 zunächst von seiner Tochter Gertraud, danach zusammen mit ihrem Mann Eduard Diezko weiter geführt.

1921 wird in der Mittelgasse die Apotheke Zum goldenen Kreuz von Eduard Schwarz eröffnet. 1949 werden beide Apotheken nationalisiert und mit Sitz in der Mittelgasse zusammengelegt. Später wird sie in Räumlichkeiten des ehemaligen Jiga- Gasthauses in der Weihergasse umgesiedelt.

1839 Baubeginn der Straße Agnetheln-Großschenk mit wesentlicher Beteiligung des überaus fachkundigen Baumeisters Christian Roth. Seine Verdienste bei dem Bau dieser wichtigen Verbindungsstraße nach Fogarasch wurden durch die Erwähnung seines Namens auf dem nach der Fertigstellung der Straße im Lempesch im Jahre 1858 errichteten Denkmal gewürdigt.
Ein weiterer Beweis für die Tüchtigkeit des Zimmermanns Christian Roth sind auch die von ihm nach französischem Muster in Agnetheln erstmals gebauten Mansardendächer.
Sein Sohn Christian, von Beruf Rechtsanwalt, war zwei Jahre lang Abgeordneter im ungarischen Reichstag, wo er sich für die Belange der Sachsen eingesetzt hat. Die Tochter seines zweiten Sohnes, des Pfarrers und ausgewiesenen Sprachwissenschaftlers Dr. Johann Roth, die in der Schweiz lebende Malerin Berner-Roth, war eine über die Grenzen Siebenbürgens hinaus bekannte Künstlerin.

1846 Der Preuße Max Moltke verfasst das Gedicht Siebenbürgen, Land des Segens das, von Johann Hedwig vertont, zur Volkshymne der Siebenbürger Sachsen wird.

1846 bis 1848 Stephan Ludwig Roth unternimmt eine Reise nach Württemberg zum Zweck der Anwerbung von Kolonisten nach Siebenbürgen. Danach lassen sich einige hundert Familien in Siebenbürgen nieder. Nach Agnetheln kommen die Familie Bahmüller aus Plüderhausen im Remstal und die Familie Nissler aus Sindelfingen. In den gleichen Jahren wandert die Familie Mras aus Böhmen nach Agnetheln ein. Deren Nachkommen werden trotz ihrer Herkunft und des teils fremdländisch klingenden Namens in kurzer Zeit echte Agnethler.

1849, April Stephan Ludwig Roth wird von einem ungarischen Standgericht zum Tode verurteilt und in Klausenburg erschossen, weil er während der von Ungarn angezettelten Revolution auf der Seite des österreichischen Kaisers stand.

1854 In der Gemeinde werden Gehwege aus Sandsteinen angelegt, allerdings wird teilweise gar nicht (Grodengasse) oder nur die Sonnenseite (Ober- und Neugasse) gepflastert, da der Transport der Steine von auswärts beschwerlich ist.

1856 Eröffnung eines Postamtes

1858 Bau des Gemeindegasthauses Agnetha, ein Mehrzweckbau bestehend aus einem großen Festsaal mit Bühne, einer Gaststätte und einem Hotel (Herberge) auf zwei angekauften Höfen. Im großen Saal finden fast hundert Jahre lang alle wichtigen gesellschaftlichen Ereignisse Agnethelns wie Bälle, Theatervorführungen, Schulfeste u. s. w. statt. Die Gaststätte des Gemeindegasthauses wird immer von einem Pächter betrieben. Nach 1945 wird der Festsaal für einige Jahre für Kinovorstellungen umfunktioniert.
Bis zum Ende des Jahrhunderts können noch folgende Aktivitäten der Gemeinde genannt werden: Bau des neuen Schlachthauses, Ankauf des Jahrmarktplatzes, Bau zweier neuer Harbachbrücken, Neupflasterung des Marktplatzes, Installation des Brunnens am Marktplatz, Anschaffung von Gaslaternen, dazu noch finanzielle Beteiligung an verschiedenen Vorhaben wie dem Schulbau, dem Eisenbahnbau, dem Bau eines neuen Salzbrunnens, dem Kauf einer neuen Turmuhr, der Ausrüstung der Feuerwehr u. a.

1863 Erfolgt die Einrichtung einer Gewerbeschule (neun Jahre früher als in Hermannstadt) die später den Namen Gewerbelehrlingsschule trägt und an die evangelische Volksschule A. B. angeschlossen ist. Diese Fachschule hatte das Ziel, den Handwerkern die nötigen theoretischen Kenntnisse für ihren Beruf zu vermitteln. In den zwanziger Jahren des 20. Jh. hat die Schule fast 300 Schüler, Sachsen, Ungarn, Rumänen aus Agnetheln und Umgebung mit 24! Gewerben. Die Schule wird auch Abendschule genannt, da der Unterrichtsbetrieb nach Feierabend stattfindet. Bemerkenswert ist, dass bereits in dieser Zeit vom Agnethler Sächsischen Gewerbeverein, Fortbildungskurse für Tischler uns Schuhmacher mit Fachdozenten aus Deutschland organisiert wurden.
Agnetheln war schon immer eine von tüchtigen und fleißigen Handwerkern geprägte Stadt. So sind bereits im Jahre 1899, 240 Gewerbetreibende verzeichnet. Außer der Mehrzahl der Handwerker, die den Beruf des Schusters ausübten, gab es praktisch alle gängigen Berufe (Gewerbe) wie Schneider, Schmiede, Wagner, Zimmerer, Fassbinder, Tischler, Drechsler, Kürschner Lederer, Riemer, Fleischer, Schlosser, Klomner (Klempner), Uhrmacher, Maurer, Maler, Anstreicher, Bäcker, Töpfer, Rasierer, (Friseure), Hutmacher, Seiler, Seifensieder

1863 Conrad Schmidt, Sohn des Agnethler Predigers Daniel Schmidt, wird zum Sachsencomes (Vorstand der Nationsuniversität, also der höchsten Selbstverwaltungsinstanz der Sachsen mit Sitz in Hermannstadt) gewählt.

1865 Am oberen Grodenbach wird von einem Aktienunternehmen eine Schwimmschule (Freibad) errichtet und 1898 umgebaut. Sie ist über 80 Jahre lang in Betrieb und im Sommer der beliebteste Freizeit-Treffpunkt der Sachsen für Groß und Klein. Im Jahre 1949, also ein Jahr nach dem Ausscheiden der letzten sächsischen Pächter, die das Freibad stets in Schuss gehalten haben, wurden die Eichenbohlen, mit denen das Schwimmbecken eingefasst war, für Bauzwecke entfernt und die ganze Anlage ruiniert.

1867 Bau der katholisch-ungarischen Kirche in der Niedergasse.

1867 Durch den österreichisch-ungarischen Ausgleich fällt Siebenbürgen in den alleinigen Herrschaftsbereich Ungarns. Ab diesem Zeitpunkt betreibt der ungarische Staat eine verstärkte Magyarisierungspolitik, die bei den Sachsen auf großen Widerstand stößt.

1869 Gründung einer Spiritusfabrik und einer Dampfmühle, als landwirtschaftliche Industrie vom Staat gefördert, durch die Brüder Christian und Johann Hager. Letzterer hatte nach einem längeren Aufenthalt in Deutschland die Bedeutung der Dampfmaschine bei der Industrialisierung erkannt und das erworbene Wissen beim Bau der Agnethler Fabrik verwertet. Bis zum Anschluss Siebenbürgens an Rumänien im Jahre 1918 warf die Herstellung von Spiritus große Gewinne ab. Zusätzlich wurde mit dem Melasseabfall (Geschlabber), als Nebengeschäft, eine gewinnbringende Ochsenmast betrieben.
Nachdem der lukrativen Spirituserzeugung ein Monopol des rumänischen Staates auferlegt wurde, war es mit den guten Geschäften vorbei. Die Fabrik warf immer weniger Gewinn ab und wurde 1925 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Danach gehörte sie über eine Aktienmehrheit der Firma Andree & Ehrmann. Nach dem Tod des Firmengründers, Wilhelm Andree, ging sie in den alleinigen Besitz seiner Schwester, verh. Ehrmann über.
Nach der Verstaatlichung im Jahre 1948 wurde die Agnethler Spiritusfabrik ab- und in einer anderen Stadt wieder aufgebaut. Später entstand auf dem Firmengelände ein städtischer gemischter Handwerksbetrieb mit wechselnden Namen und vielen Arbeitsplätzen.

Der Mitbegründer der Agnethler Spiritusfabrik, Johann Hager, trennte sich nach einigen Jahren von seinem Besitz und übersiedelte nach Hermannstadt. Dort setzte er sein in Agnetheln erwirtschaftetes Kapital mit Weitblick und Unternehmergeist zukunftsorientiert ein. Er kaufte ein Grundstück in der Nähe des Bahnhofs unserer Wusch, gründete dort eine zweite Spiritusfabrik und mit deren Gewinn später (1887) die Bierfabrik Drei Eichen und danach die Hager-Bräu. All diese Aktivitäten sind ein weiterer überzeugender Beweis für den Geschäftssinn und die Tüchtigkeit der Agnethler.

Die Erfolgsgeschichte eines Agnethlers, der sein Glück außerhalb seiner Heimatstadt suchte, ist auch die des Gerbers Friedrich Hienz, der in jungen Jahren nach Hermannstadt verzog, wo er zunächst unter bescheidenen Bedingungen seinem Handwerk nachging. Im Laufe der Jahre gelang es ihm durch Fleiß, Geschick und Ausdauer zunächst eine Manufaktur und anschließend die Lederfabrik Friedrich Hienz zu gründen, mit der er zu großem Wohlstand gelangte und zu einem der angesehensten Bürger Hermannstadts wurde. Nach der kommunistischen Enteignung seiner Fabrik im Jahre 1948 erhielt diese den Namen 13 Decembrie.

1871 Dr. Andreas Breckner nimmt als Korvettenarzt der österreichisch-ungarischen Kriegsmarine an einer zweijährigen Asienreise teil. Trotz günstiger Perspektiven für seine weitere Laufbahn in Wien kehrt er einige Jahre später auf Empfehlung seines Vaters, des Marktrichters (Bürgermeisters), nach Agnetheln zurück und übernimmt die relativ schlecht dotierte Stelle eines Kommunalarztes in seiner Heimatgemeinde. Das materielle Opfer hat er aber gerne erbracht, damit er, wie er sagte: meiner Vaterstadt zu Diensten stehen kann. Er war in Agnetheln als geschätzter und selbstloser Armenarzt bekannt. In diesem Umfeld hat er sich mit Tuberkulose angesteckt und ist daran im Alter von nur 46 Jahren gestorben.

1872 Auflösung der Zünfte durch den ungarischen Staat. Diese Maßnahme, obwohl immer wieder von den Betroffenen als bedauerlich betrachtet, war unumgänglich, weil die mittelalterliche Organisationsform der Zünfte sich überlebt hatte und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes behinderte.

1876 Auflösung des Königsbodens und Degradierung der Nationsuniversität zu einer Stiftung für kulturelle Belange. Dadurch wird das Ende der sächsischen Verwaltungsautonomie besiegelt. Der Königsboden, das historische Sachsenland, wird in die typischen Verwaltungsbezirke (Komitate) des ungarischen Staates eingegliedert. Der Comes Conrad Schmidt wird vom ungarischen Innenminister abgesetzt.
Gleichzeitig wird der Obergespan (der oberste Beamte) des Hermannstädter Komitats mit dem Titel des sächsischen Comes bekleidet. Allerdings hatte diese Ernennung praktisch nur eine symbolische Bedeutung und war reine Augenwischerei da jetzt dem Comes sämtliche Befugnisse zur Ausübung seiner ehemaligen Aufgaben fehlten.

1876 Gründung der Freiwilligen Sächsischen Feuerwehr. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass diese weitsichtige Gründung ungefähr zur gleichen Zeit geschah, als auch in Deutschland die freiwilligen Feuerwehren ins Leben gerufen wurden. In leitenden Funktionen der Feuerwehr (im Ausschuss) war, wie in einem Text im Anhang ersichtlich, die ganze Agnethler Prominenz vertreten.
Neben diesem Verein gab es bis zum Umsturz vom 23. August 1944 etwa 20 weitere Vereine die später in einer Übersicht zusammengefasst werden.

1880 Beginn der ersten Auswanderungswelle von etwa 20.000 Sachsen nach Amerika
(USA ), die bis 1914 andauert. Der bedeutendste Reisevermittler war die Agentur Missler, die eng mit der Norddeutschen Lloyd zusammenarbeitete. Der wichtigste Einschiffhafen Richtung USA war Bremen. In einem dokumentierten Erfassungszeitraum von fünf Jahren verlassen 130 Männer und 23 Frauen Agnetheln, von denen 79, d. h. ungefähr die Hälfte nach einigen Jahren zurückkehren. Einige haben ihr Glück sogar zweimal versucht.

Wenn mehrere Angehörige einer Familie die Absicht hatten nach Amerika zu gehen versuchte oft zunächst nur einer sein Glück in Übersee und schickte dann das benötigte Reisegeld an den nächsten Interessenten nach Hause (siehe Kopie einer Geldüberweisung im Anhang). Exemplarisch hierfür ist z. B. der Fall der 22-jährigen Hartmann Maria, die 1904 über Bremen mit dem Schiff Kronprinz Wilhelm zu ihrem Onkel Johann Graef nach Milwaukee ausgereist ist. Dieser wiederum war bereits 1903 über Hamburg mit dem Schiff Graf Waldersee zu seinem Bruder Michael ausgewandert. Onkel und Nichte sind später nach Agnetheln zurückgekehrt.

Die Gründe für die Auswanderung waren im Wesentlichen materieller Art, wie z.B. Bodenknappheit durch Erbteilung bei großem Kinderreichtum, Niedergang des Kleingewerbes und damit schlechte Möglichkeiten sich als Handwerker eine eigene Existenz aufzubauen u. a., was dem Text unserer wehmütigen Hymne vom Land voll Gold und Rebensaft eindrucksvoll widerspricht.

1881 Geburt des Kunstmalers und Musikers Michael Barner. Bereits in der Schule fällt seinen Lehrern seine ungewöhnliche zeichnerische Begabung auf. Nach einem Stipendium an der Budapester Malerakademie widmet er sich fortan gänzlich der Malerei. Geldspenden Agnethler Freunde, denen seine künstlerische Begabung und hohe Intelligenz nicht verborgen geblieben waren, ermöglichten ihm eine Bildungsreise zu den Kunststätten Europas. Er nimmt am 1. Weltkrieg teil, geht nach dem Krieg nach Berlin, von wo er bald wieder nach Agnetheln zurückkehrt. Als richtiger Bohemien arbeitet er unregelmäßig und schon gar nicht wenn er Geld hat. Gelegentlich geht er mit der Geige von Haus zu Haus und spielt für ein Almosen. Er hat es nie vermocht, sich mit seiner Kunst zu verdingen oder sie zu verkaufen.
Michael Barner war vielseitig begabt. Er spielte ausgezeichnet Violine, komponierte und schrieb Gedichte mit sächsischen, ungarischen und rumänischen Texten. Am bedeutendsten jedoch bleibt Barners bildnerisches Schaffen. Viele seiner Gedichte und Vertonungen sowie seiner Gemälde werden im Agnethler Harbachtalmuseum aufbewahrt. Beim diesjährigen Agnethler treffen wird er von der HOG mit der Herausgabe eine Bildkalenders geehrt.
Michael Barner war im Laufe seines Lebens mehrmals in Nervenanstalten interniert, lebte zuletzt in einem Birthälmer Altersheim und starb im Jahre 1961 in Mediasch, wo er auch beigesetzt wurde.

1885 Eröffnung eines Telegraphenamtes. Dadurch wird ein Fenster zur Welt aufgestoßen.

1885 Fertigstellung des neuen Gemeindehauses (Rathauses) in der Niedergasse in dem alle Ämter, das Marktamt, das Stuhlrichteramt, das Grundbuchamt und das Bezirksgericht untergebracht werden. Das Marktamt, das die Gemeindeverwaltung besorgt, bestand aus dem gewählten Marktvorstand (Hann, Gemeinderichter oder Bürgermeister), seinem Stellvertreter, einem Kassier, einem Steuersammler, vier Geschworenen, einem Waisenvater, zwei Notären und einem Kanzlisten. Mitglieder des Marktamtes waren auch zwei Kommunalärzte und ein Kreistierarzt. Die Gemeindebeamten erhielten eine festgelegte Jahresentlohnung. Die Gemeindevertretung bestand aus 15 gewählten Mitgliedern sowie aus 15 Mitgliedern mit dem höchsten Steueraufkommen in der Gemeinde.

1889 Beginn der Arbeiten zur Anlegung eines Höhenparks: Steinburgshöhe, später einfach Steinburg genannt, durch den kurz vorher gegründeten Verschönerungsverein unter seinem Gründer und Vorsitzenden, dem Bezirksrichter Karl Pildner von Steinburg.

1889 Geburt von Trude Schullerus, eine der bekanntesten Malerinnen Siebenbürgens. Mit ihren heimatlichen Landschaftsmotiven hat sie, wie kaum ein anderer Künstler, die siebenbürgisch-sächsische Welt dargestellt. Ihr Vater Adolf Schullerus war zu der Zeit Rektor der Agnethler Volks- und Gewerbeschule, später viele Jahre Stadtpfarrer in Hermannstadt, Bischofsvikar und Staatsmann. Er war eine der prominentesten sächsischen Persönlichkeiten. Über seine Zeit in Agnetheln sagte er:
Der Unterricht mit der geistig geweckten Jugend war eine Freude wie der angeregte gesellschaftliche Verkehr mit dem aufblühenden Markt.

1892 In diesem Jahr beginnt die Kommassation (Flurbereinigung, Arrondierung), also die Zusammenlegung der in einer Flur zerstreut gelegenen kleinen Grundstücke der einzelnen Besitzer und eine Neuaufteilung der landwirtschaftlichen Gesamtfläche der Gemeinde in größere, zusammenhängende Einheiten. Durch diese Maßnahme wurde die im Laufe von Generationen durch Erbteilung, Heirat usw. entstandene Zerstückelung des Hatterts (Gemarkung), die keine zeitgerechte, rentable Bearbeitung des Bodens mehr erlaubte, beseitigt. Ferner wurden durch freiwilliges Abtreten von Grundbesitz aller Eigentümer zwei Weiden, eine für Milchvieh und eine für Schweine, geschaffen.
Die aus dem Herkunftsland mitgebrachte und auch in Siebenbürgen Jahrhunderte lang praktizierte Dreifelderwirtschaft der Siedler wurde durch die Kommassation abgeschafft.
Anschließend wird Grund und Boden erstmalig im Grundbuch erfasst.
Da die Vorteile der Kommassation von Vielen anfangs nicht erkannt wurden, gab es mehr Gegner als Anhänger dieser Maßnahme. Dadurch haben die Arbeiten in Agnetheln länger als in anderen sächsischen Ortschaften, nämlich fünf Jahre, gedauert. Nach Abschluss der Arbeiten waren schließlich auch die Skeptiker mit der Neuaufteilung des Bodens zufrieden.
Von der Gesamtfläche des Agnethler Hatterts mit ca. 10.000 Joch (ca. 6000 ha) waren 40 % im Besitz der politischen Gemeinde, während der Rest des Bodens zu 96 % der sächsischen Bevölkerung gehörte.

1893 Bau der Ersten Agnethler Lederfabrik als Aktiengesellschaft. Sie beschäftigte damals 25 Arbeiter und 4 Beamte. An die Fabrik war auch eine Mühle angeschlossen.

1893 Geburt der Heimatdicherin Christine Maly-Theil. Sie schrieb Erzählungen, Anekdoten und Gedichte, hauptsächlich in Mundart, die sie zum Teil auch selbst vertonte. Obwohl sie Agnetheln bereits im Jugendalter verlassen hat, ist sie ihrem Geburtsort bis an ihr Lebensende treu geblieben. Als gute Kennerin der Verhältnisse und Lebensgewohnheiten ihres Heimatortes hat sie in den kurzen Erzählungen Plauderei über Agnethler Spitznamen und De irscht Ognithler Bahn viele Agnethler Spitznamen humorvoll erwähnt. Auch ist sie die Autorin des Gedichtes Agnithler Himetlid.

1894 Analyse des Salzbrunnenwassers mit der Absicht der Gemeinde beim Salzbrunnen ein Heilbad zu errichten. Nach positivem Befund wurde, auch mit Hilfe des Verschönerungsvereins damit begonnen, Wege anzulegen. Auf dem Anwesen wurden später ein Schwimmbecken (1924) mit Wasser aus der Heilquelle, eine Gastwirtschaft und mehrere Villen gebaut. So entstand bei Agnetheln ein Salz- und Kurbad, ein beliebtes Ausflugsziel der Agnethler, auch Salzbrunnenkolonie genannt, wohin man mit Kind und Kegel auf Sommerfrische fuhr. Die Betreuung der Anlage oblag einem Pächter.
Nach dem Umsturz vom 23. August 1944 wurden die über Jahrzehnte mit Weitsicht geschaffenen Anlagen des schönen Erholungsortes durch Raub und Vandalismus zerstört. In späteren Jahren wurde die Anlage teilweise wieder aufgebaut, ohne jemals wieder das Aussehen und die Bedeutung von früher zu erreichen.

1898 Gedenkfeier anlässlich des 400. Geburtstages des Begründers der ev. Landeskirche Johannes Honterus.

1898 Eröffnung der Schmalspurbahn Agnetheln-Schäßburg. Nach mehrjähriger Bauzeit wurde die Bahn im Jahre 1910 auch auf der Strecke Agnetheln-Hermannstadt in Betrieb genommen. Von der sächsischen Bevölkerung wurde die Schmalspurbahn liebevoll Wusch oder Kaffeemühle, von den Rumänen mocni, genannt. Ihr Betrieb wurde 1965 bzw. 2001 eingestellt.

1899 In einer Chronik wird die Existenz einer Essigfabrik in der Mittelgasse im Besitz von Christian Rehner erwähnt.

1900 Inbetriebnahme eines Dampfsägewerkes (damals Dampfsäge genannt) durch eine auswärtige Firma in der Nähe des Bahnhofs. Durch deren Tätigkeit wurde der Bestand der stolzen Eichen des Lempesch, der vorher vom Fabrikbesitzer angekauft wurde, in kurzer Zeit dezimiert. Zu der bemerkenswerten technischen Ausrüstung der Fabrik gehörten eine Dampfmaschine, mehrere Gatter, verschiedene Sägen, eine mit Dampf betriebene Feuerwehrspritze und Werkstätten (Schmiede, Schlosserei u. a.) für die Instandhaltungsarbeiten. Die Fabrik war durch Geleise mit dem Bahnhof verbunden und elektrisch beleuchtet. Ganz unüblich für die Zeit war der Umstand, dass die Fabrik bereits damals auch soziale Einrichtungen für die ca. 200 Arbeiter und 12 Beamten besaß wie z. B. mehrere Arbeiterwohnungen, ein Dampf bad für die gesamte Belegschaft sowie ein Gasthaus. Die Gegend, in der einst die Dampfsäge stand, hat seinerzeit den Namen Äm Seijes erhalten und ihn bis heute beibehalten, obwohl es die Dampfsäge bereits seit vielen Jahrzehnten nicht mehr gibt.

1901 Gründung des sächsischen Bürger- und Gewerbevereins mit Sitz in der Niedergasse mit eigener Gaststätte, Kasino (Lesezimmer) und Kegelbahn, welche von einem Pächter betreut wurden.

1905 Ausrichtung einer Feier zum 100-jährigen Todesjahr von Friedrich Schiller

1906 Gründung der Lederfabrik Andree & Ehrmann. In diesem Jahr beschlossen die gerade verschwägerten, vorher jeweils selbstständigen Rotgerbermeister Wilhelm Andree und Johann Ehrmann ihre Gerbereien in einer Fabrik zusammen zu führen und auf dem Hofe der Familie Ehrmann in der Mittelgasse eine Lederfabrik zu gründen. So entstand die Firma Andree & Ehrmann, an der beide Partner mit jeweils 50 % beteiligt waren. Die Firma besaß eine Dampfmaschine, die über Treibriemen den ganzen Maschinenpark antrieb und bereits vor der Einführung des elektrischen Stromes in Agnetheln im Jahre 1926, einen Generator. Dieser lieferte Strom für die elektrische Beleuchtung der Werkshallen sowie für die nach und nach eingeführten elektrischen Geräte und nicht zuletzt für die Privatwohnungen der Eigentümer.
Die Firma wurde technologisch durch den Ersatz der Pflanzengerbung durch die bis dahin in Agnetheln unbekannte Gerbung mit Chromsalzen modernisiert. Das Wissen hierzu hatte Johann Ehrmann bei seiner Ausbildung in Deutschland erworben. Durch die Anschaffung neuer Maschinen wurde die Firma auch technisch auf hohen Stand gebracht und vergrößert wodurch die Zahl der Beschäftigten unaufhörlich stieg. Die Gesellschafter besaßen auch eine Lederhandlung und eine Mühle.
Durch Zukauf einer Schuhfabrik aus Bukarest im Jahre 1940 wurde aus der reinen Lederfabrik eine Leder- und Schuhfabrik, wodurch sich die Zahl der Arbeiter und Angestellten zuletzt auf 150 vergrößerte.
Ehrwähnenswert ist auch, dass die Eigentümer noch Zeit fanden, ehrenamtlich tätig zu sein (u. a war Wilhelm Andree Kurator der ev. Kirche) und dass sie für verschiedene gemeinnützige Vorhaben der Gemeinde sowie für den Bau der neuen rumänischen Kirche hohe Geldsummen gespendet haben.
Nach dem Tod von Wilhelm Andree im Jahre 1943 ging sein Firmenanteil, da er kinderlos war, auf seine drei Brüder über. Der zweite Inhaber, Johann Ehrmann, wurde nach der Enteignung des Betriebes im Jahre 1948 verhaftet und kam 1950 in einem kommunistischen Foltergefängnis zu Tode. Die Fabrik Andree & Ehrmann wurde mit der Ersten Agnethler Lederfabrik vereinigt und erhielt den Namen eines kommunistischen Feiertages, 7 Noiembrie. Später wurde sie auf den Namen FIPA (Fabric de Piele i Inclminte Agnita), umbenannt. Die Zahl der Beschäftigten hat sich nach 1948 wesentlich erhöht. Nach der Wende von 1989 hat die Lederfabrik aus der Mittelgasse ihre Aktivität praktisch eingestellt während die Schuhfabrik in der Niedergasse, privatisiert, weiter läuft.

1909 Der Schäßburger Josef Schmidt gründet in Agnetheln die erste Buchdruckerei. Daran angeschlossen sind auch eine Buchbinderei und eine Buchhandlung. Bei ihm lernten mehrere Buchdrucker den Beruf, von denen einige später eigene Unternehmen in anderen Städten gründeten. Alle wichtigen Druckerzeugnisse Agnethelns werden bis zum Umzug Schmidts nach Hermannstadt im Jahre 1931 z. B. das Agnethler Wochenblatt, der Harbachkradder, die Jahresberichte der Schulen, Broschüren, Kalender, Werbeschriften, Gelegenheitsdrucke und Bücher von der Firma Schmidt gedruckt.

1909 Erscheinungsjahr des Agnethler Wochenblattes, ein Publikations-Organ für Agnetheln und Umgebung. Seine Aufgabe besteht in der Veröffentlichung von ausführlichen Berichten aus Verbandsleben, Gewerbe und Handel, über die öffentliche Hygiene sowie von Lokal- und anderen Nachrichten, um das Interesse für die genannten Angelegenheiten zu steigern. Ehrenamtliche Schriftführer sind Friedrich Rosler (Pfarrer), Friedrich Hann (Prediger, Lehrer), und Michael Sturm (Lehrer). Die Zeitung wird nach 30 Jahren, im Jahre 1938 eingestellt (siehe Anhang)

1910 Der Verschönerungsverein legt am rechten Harbachufer im Bereich der Mittelgasse die Kastanienallee und weiter flussabwärts im Bereich der Niedergasse auf der linken Seite des Harbachs, die Lindenalle an.

1910 In Agnetheln sind 85 Petroleum-Straßenlaternen im Einsatz.

1911 Der Gewerbeverein veranlasst das gemeinsame Forttragen der Laden mit Urzelbegleitung also mit Parade der vier größten Zünfte (Schuster, Schneider, Kürschner und Fassbinder- die längst ohne gesetzliche Grundlage weiter bestanden) in Begleitung von Schauhandlungen der einzelnen Zünfte. Ab diesem Zeitpunkt prägen und beherrschen die Urzeln, früher als Ordnungshüter beim Forttragen der Lade nur Randfiguren, das Fest so, wie wir es heute noch kennen und praktizieren.

1911 In der Obergasse wird für kurze Zeit die Erste Agnethler mechanische Schuhfabrik durch Michael Brenner in Betrieb genommen, der von der Walz (Gesellenwanderung) aus Deutschland zurückgekehrt war. Nach Aufgabe des Agnethler Unternehmens wegen eines Brandes, hat derselbe in Deutschland (Pirmasens) eine neue Schuhfabrik gegründet und dort erstmalig die revolutionäre Klebetechnik, die das arbeitsaufwendige Nähen und Nageln bei der Herstellung von Schuhen ersetzt, eingeführt.

1912 Ab diesem Jahr erscheint bei der Druckerei Josef Schmidt das Faschingsblatt der Harbachkradder. Der erste Jahrgang des Blattes ist bereits Anfang des Jahrhunderts erschienen. Es gibt kaum einen älteren Agnethler, der sich nicht mit Vergnügen an dies einmalige Blättchen erinnert (siehe Anhang).

1912 Gründung der Ersten Siebenbürger Strohhutfabrik in der Neugasse durch Heinrich Krauss. Unter Fabrik darf man sich in diesem Fall allerdings nicht eine solche im heutigen Sinne vorstellen, sondern mehr eine Manufaktur, also einen Betrieb im Übergang vom Handwerk zur Fabrik.

1913 Erste Kinovorstellung in Agnetheln.

1913 Zwischen Agnetheln und Sîmbta wird ein Postbusverkehr aufgenommen. Vom Agnethler Wochenblatt wird der Bus als ein neuer Schrecken der Landstrassen bezeichnet.

1914 Baumeister Wonner baut an die bereits bestehende Turnhalle einen Kindergarten an

1914 Ausbruch des 1. Weltkrieges, in dessen Verlauf 50 Agnethler fallen. Nach dem Krieg wird im Garten der evangelischen Schule ein Denkmal aufgestellt, worauf alle Gefallenen namentlich erwähnt werden.

Der Agnethler Berufsoffizier Hans Fernengel nimmt als General der k. u. k. Armee an der russischen und italienischen Front am Krieg teil.

Dr. Hermann Breckner nimmt ebenfalls als Offizier der k. u. k Armee am 1. Weltkrieg teil und gelangte in russische Gefangenschaft. Hier wurde er von der Kommunistischen Oktoberrevolution überrascht und musste den neuen Herren als Arzt zu Diensten sein. Der Entlassungsschein, in dem seine Tätigkeit im Dienste der Revolution bestätigt wird, sollte ihm zu Hause ungeahnt große Dienste erweisen. Bereits das einfache Vorzeigen dieser Zauberbescheinigung hat ihn unantastbar gemacht gegen die zahlreichen Übergriffe, denen alle Sachsen nach der Wende vom 23. August 1944 ausgesetzt waren.

Ein weiterer Agnethler, der Kaufmann Karl Breckner, gerät auch in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er auf abenteuerliche Weise flieht und danach eine Weltreise wider Willen antritt. Es geht über China, Honkong, Australien, Japan, Amerika (USA), Deutschland und erst nach sechs Jahren, im Jahre 1921, zurück nach Agnetheln.

1916, September Rumänische Truppen dringen bis Schönberg vor. Agnethler Familien, die es sich leisten können, fliehen aus der Stadt und kehren kurz darauf, nach dem Eintreffen deutscher Truppen, wieder zurück. Die deutschen Soldaten werden von den Sachsen freudig begrüßt. Auskunft darüber gibt auch eine kürzlich aufgetauchte Postkarte eines deutschen Gefreiten, der am 29.9.1916 nach Hause schrieb, dass sie von den Agnethlern
Wein Brod Speck Butterbröde satt bekommen (haben) mehr als nötig.
(Rechtschreibung und Satzzeichen sind dem Original entnommen).

1917 Angesichts der großen, durch den Krieg verursachten Versorgungsnot in Deutschland und Österreich finden im Sommer dieses Jahres 60 Leipziger und Wiener Ferienkinder Aufnahme zur Erholung für neun Wochen in Agnethler Familien.

1917 Der ev. Frauenverein betreut in dem extra dafür eingerichteten Lazarett in der Turnhalle und dem Kindergarten verwundete deutsche Soldaten.

1918, Dezember Anschluss Siebenbürgens an Rumänien. Anfang 1919 stimmen die politischen Vertreter der Sachsen dem Anschluss Siebenbürgens an Rumänien zu.

1918 bis 1948, dem Zeitpunkt der kommunistischen Verstaatlichungen
In dieser Zeitspanne waren, außer den bereits erwähnten Fabriken in Agnetheln, vor allem mehrere Kleinunternehmer, Handwerker und Kaufleute tätig. Bei den genannten Berufsgruppen ist eine klare und genaue Abgrenzung ihrer Tätigkeit oft nicht möglich. So können z.B. Handwerker auch unternehmerisch und Unternehmer auch handwerklich und beide auch kaufmännisch tätig sein. Schwierig ist auch die strenge Trennung der kaufmännischen Aktivitäten, da die einzelnen Läden neben ihrem Hauptangebot dem sie ihren Namen verdanken, fast immer auch verschiedene andere Waren führten, also praktisch Gemischtwarenläden waren.

Passend zur Darstellung der vielseitigen Beschäftigungen der Agnethler sollen auch einige ihrer typischen Merkmale, aus der Sicht von Fremden, genannt werden.
Laut Siebenbürgisch-Sächsischem Wörterbuch aus dem Jahre 1924 zeichnen sich die Agnethler durch ihre gewerbliche Betriebsamkeit, Handelsgeist und regen Mutterwitz aus und sind unter ihren Landsleuten hoch geachtet. Allerdings sind sie wegen ihres scharfen Witzes auch nicht minder gefürchtet. Die gelegentliche Bezeichnung Sächsische Juden der Agnethler ist als Beweis ihrer Tüchtigkeit immer positiv gemeint. Wegen ihrer wirtschaftlichen Regsamkeit wird ihnen von Neidern anderer Ortschaften der Spruch:
Lawer taisend Gälden Schoulden, wa nässt hun
(Lieber tausend Gulden Schulden als nichts haben)
in den Mund gelegt. Diesen Bewertungen ist nichts hinzuzufügen.

Zur Entstehung des Spitznamens (Spottnamens) Gorreschanner ist weder die Zeit zu welcher die Agnethler zuerst mit diesem Spitznamen bedacht wurden, noch ein bestimmter Grund dafür, mit Sicherheit auszumachen. Hierzu gibt es zwar verschiedene, aber allesamt unbewiesene, Deutungsversuche. Die Namensgebung könnte auch, wie nachfolgend beschrieben, entstanden sein.
Agnetheln, als Gewerbe- und Handelszentrum, war vor der Inbetriebnahme der Eisenbahn zur Haltung zahlreicher Pferde als wichtigstes Verkehrsmittel angewiesen. Mit eigenem Pferdegespann oder mit Fuhrleuten war man mit Handelswaren quer durch Siebenbürgen und sogar jenseits der Karpaten bis in die Walachei unterwegs. Weil durch die Strapazen manch geschundenes Pferd unterwegs den Geist aufgab und der geschäftstüchtige Agnethler neben dem Pferd nicht auch noch die wertvolle Haut verlieren wollte, zumal es zu Hause ein weit verbreitetes Gerbergewerbe gab, hatte er immer ein Gerbermesser, genannt Heep oder Häip im Stiefelschaft bei der Hand, um die Stute (Goarr) rasch abhäuten (schannen) zu können. Daher die Bezeichnung Agnithler mät der Häip und Gorreschanner, zu Deutsch Pferdeschinder. Mit diesen wenig schmeichelhaften Spitznamen oder Spottnamen angesprochen, reagieren die Agnethler nicht mit Wut, sondern selbstbewusst, meistens sogar mit Humor.

Erwähnenswert ist auch die Tatsache, dass die Pferdezucht gepflegt und Pferdehandel betrieben wurde, wobei die Lieferungen an die k. u. k Armee einen lohnenden Erwerb darstellten. Die junge Zucht war Sommers auf einer Waldweide in offenen Ställen untergebracht. Dieser Waldteil heißt auch heute noch bam Fiallenstaull (beim Fohlenstall). Es ist nicht abwegig anzunehmen, dass der in Agnetheln seit jeher weit verbreitete Beruf des Rotgerbers auch etwas mit der großen Zahl Häute spendender Pferde zu tun haben könnte.

1920 Der rührige Buchdrucker Josef Schmidt, der sich in Agnetheln stets am kulturellen Leben der Gemeinde beteiligte, eröffnet im Brecknerschen Gasthaus Zur Traube (auch unter dem Namen Jiga bekannt) das Lichtspieltheater Helios (später Urania), das nach nur drei Jahren aufgelassen wurde.
Das Gasthaus Jiga war über Jahrzehnte Austragungsort der meisten Hochzeiten Agnethelns und anderer gesellschaftlicher Ereignisse. Es besaß eine Kegelbahn, eine Anlage zum Herstellen von Sodawasser sowie einen Eiskeller, in dem im Winter dicke Eisbrocken aus dem tief gefrorenen Harbach eingelagert wurden. Nach der Verstaatlichung im Jahre 1948 dienten die Räumlichkeiten des Gasthauses der neu gegründeten Staatsfarm Gostat als Hauptsitz.

1920 Beginn der zweiten Auswanderungswelle von etwa 10.000 Siebenbürger Sachsen nach Amerika, die bis kurz vor dem 2. Weltkrieg andauert. Auch diesmal sind mehrere Agnethler dabei.

1921 Durch eine Agrarreform verlieren die sächsischen Körperschaften einen Großteil ihres Gemeinschafts- und Kirchengrundes (Acker- Wald- und Weideflächen) zu Gunsten rumänischer Gemeinden und Einrichtungen. Dadurch entgingen ihnen beträchtliche Einnahmen, die zur Deckung schulischer, kirchlicher und völkischer Ausgaben gedient hatten. Um diese Verluste wett zu machen, mussten die Kirchensteuern empfindlich erhöht werden.

1924 Michael Rehner gründet, zunächst mit nur einer Strickmaschine auf dem großelterlichen Hof eine Strickerei. In den nächsten Jahren baut er eine Werkstadt und erhöht die Zahl der Maschinen und Arbeiter. Durch den Zusammenschluss mit der Strickerei Bonfert wurde der Betrieb weiter vergrößert. Nach sieben Jahren Zusammenarbeit trennten sich die beiden Teilhaber. Durch neue Werkräume und einen weiteren Ausbau erhielt die Fabrik das Aussehen, wie man es bis vor der Verstaatlichung im Jahre 1948 kannte. Die Firma erhielt den Namen MIRA (Michael Rehner Agnetheln), mit dem Fassbinderturm als Firmenzeichen. Es war die einzige Handschuhfabrik Rumäniens. Nach der Verstaatlichung erhielt die Fabrik den Namen 9 Mai später Fabrica de tricotaje Agnita und wurde stetig vergrößert und modernisiert. Die Zahl der Beschäftigten stieg von knapp 200 auf zuletzt über 2000. Nach der Wende von 1989 arbeitet die Fabrik, privatisiert, mit stark reduzierter Belegschaft weiter.

1924 Die Rumänen Agnethelns gründen ihren Gewerbeverein: Reuniunea mesereailor români

1925 Ein Verwaltungsgesetz beseitigt weitgehend die bisherige Autonomie der Städte und Gemeinden. Das Gesetz gab den Staatsorganen die Möglichkeit, 40 Prozent der Amtsstellen vorwiegend mit Rumänen zu besetzen. Des Weiteren wurde auf allen Ebenen der Verwaltung ausschließlich Rumänisch als Amtssprache eingeführt.

1926 Einführung des elektrischen Stroms in Agnetheln. Bis zum Anschluss an das überregionale Stromnetz der SETA (Societate Electric Transilvnean pe Aciuni- Siebenbürgische Elektrizitätsgesellschaft) mit Hilfe einer Hochspannungs-Überlandleitung nach Mediasch, wurde der Strom übergangsweise von einem Generator der Spiritusfabrik geliefert.

1926 Aufnahme eines Busverkehrs nach Hermannstadt. Fahrdauer: 2,5 Stunden.

1927 Pflasterung der Gehwege in allen Gassen.

1927 Der Turnwart des Agnethler Sächsischen Turnvereins, die Turnlehrerin Paula Sturm, stellt im Diskuswerfen mit 26,57 m einen neuen Landesrekord auf.

1927 Aus- und Umbau des Saales und Vergrößerung der Bühne des Gemeindegasthauses Agnetha.
1928 Ausrichtung einer Gedenkfeier durch den Musikvereins zum 100. Todesjahr von Franz Schubert.
1929 Der Gastwirt Friedrich Weber betreibt seit einigen Jahren in der Mittelgasse unter dem Namen Firma Czell die Vertretung einer Kronstädter Brauerei gleichen Namens. Sie besitzt einen Gastronomiebetrieb und eine Konditorei, eine Abfüllanlage für Bier und eine für Sodawasser, einen Eiskeller und eine Kegelbahn. Während der in diesem Jahr einsetzenden Weltwirtschaftskrise gerät die Firma in finanzielle Schwierigkeiten, aus der sie nach und nach vom Sohn des Firmeninhabers, Heinrich Weber, befreit und dann von diesem übernommen wird.
Auf dem Anwesen gab es für kurze Zeit auch eine Puppenfabrik, die von seiner Schwester Hermine, verh. Schuller, betrieben wurde. Durch die teilweise Verlagerung der Produktion auf Heimarbeit konnten viele, nach dem Krieg fast mittellos gewordenen Familien, ein kleines Einkommen erzielen. In den ersten Jahren nach dem Krieg gehörten die hier hergestellten preiswerten Puppen zu den beliebtesten Geschenken unter dem kargen Weihnachtsbaum. Nach der Verstaatlichung im Jahre 1948 übernahm eine Genossenschaft die Firma.

1929 In dem einige Jahrzehnte früher vom Pfarrer Fr. Fr. Fronius angelegten wunderschönen Garten der ev. Schule wird das Denkmal für die 50 namentlich erwähnten Gefallenen des 1. Weltkrieges aufgestellt und im Beisein des Bischofs Friedrich Teutsch geweiht. Einige Jahre nach der Verstaatlichung der Schule musste das Denkmal in den Kirchhof versetzt werden.

1931 Julius Glätzer eröffnet in der Mittelgasse das Apollokino. Da die Filme damals einige Zeit noch als Stummfilme liefen, wurde der Laienmusiker Josef Waldöfner zur Vertonung des gerade laufenden Films eingestellt. Dieser versuchte, hinter der Leinwand postiert, sich mit seiner Zittermusik den Ereignissen auf der Leinwand anzupassen.
Nach der Verstaatlichung wird das Kino eine zeitlang von Julius Glätzer gemeinsam mit dem umtriebigen, nach Agnetheln zugezogenen Genossen namens Borcoman, weiter betrieben.
Gezeigt werden ab diesem Zeitpunkt fast ausschließlich Propagandafilme (Kriegsfilme) russischer Herkunft, die sich kaum ein Sachse ansieht. Zur politischen Erziehung der Schulkinder mussten bestimmte Filme im Klassenverbund, begleitet von Lehrern, besucht werden.
Erwähnenswert ist auch ein groteskes Beispiel für den damals herrschenden Zeitgeist. Bei den harmlosesten, vom Filmvorführer eigenmächtig als nicht jugendfrei eingestuften Szenen eines Films, übte dieser Zensur, indem er mit seiner Mütze das Objektiv des Filmprojektors verdeckte und somit die betreffende Szene ausblendete.

1932 Die seit mehreren Jahrzehnten in Agnetheln ansässige Buchdruckerei und Buchbinderei von Josef Schmidt wird von Hans Maurer übernommen und unter dem neuen Namen bis zur Enteignung im Jahre 1948 erfolgreich betrieben. Nach der Enteignung werden die Maschinen abgebaut und von Agnetheln weggebracht.

1932 Eine Maikäferinvasion hat verheerende Wirkung auf die Wälder rings um Agnetheln. An dieses Naturereignis wird sogar mit einem Dokument im Harbachtalmuseum erinnert.

1934 Am Gemeindegasthaus wird eine Gedenkplatte für den rumänischen Fürsten Michael der Tapfere, der im Jahre 1600 Agnetheln mit seinem Heer durchquerte, angebracht.

1934 Einweihung der neuen rumänischen staatlichen Volksschule in der Nähe der Einmündung des Grodenbachs in den Harbach. In der zweiten Hälfte der 50er Jahre sind hier neben dem rumänischen auch das deutsche Gymnasium und einige Klassenzüge der ehemals selbstständigen deutschen Volksschule, untergebracht. Im Gegenzug werden rumänische Klassen in der deutschen Volksschule integriert. Was damit bezweckt wurde, ist mehr als eindeutig.

1935 Feierliche Einweihung, aus Anlass des sächsischen Jugendtages, des Turn – und Sportplatzes am Harbach, der zum Teil mit Spenden und ungezählten freiwilligen Arbeitsstunden erstellt wird.
Den ersten Sportplatz Agnethelns hat Schulrektor Piringer Anfang des Jahrhunderts an dem Platz anlegen lassen, wo später die rumänische Schule gebaut wurde. Piringer, selbst ein begeisterter Turner, hat auch durchgesetzt, dass im Turnen Mädchen aus besserem Hause sich bereitfanden mit Mädchen aus den Gassen gemeinsam zu turnen und hat somit zum sozialen Ausgleich beigetragen.

1935, Juni Jugendtag der deutschen Jugend Großrumäniens in Agnetheln. 7000 Jugendliche folgen der Einladung von Pfarrer Wilhelm Staedel, dem Führer des Siebenbürgisch-Deutschen Jugendbundes.

1939 Gründung einer weiteren Schuhfabrik in Agnetheln durch Michael Graef mit ca. 30 Beschäftigten vor Ort und einigen Heimarbeitern aus Dörfern der Umgebung. In einem angeschlossenem Verkaufsladen auf dem Fabrikgelände wurde ein Teil der Erzeugnisse verkauft. Die geplante und bereits vorbereitete Expansion der Fabrik an einem neuen Standort wurde durch die im Jahre 1948 erfolgte Verstaatlichung des Unternehmens zunichte gemacht. Bereits einige Jahre vor der Verstaatlichung mischen sich die neuen inkompetenten örtlichen Machthaber, sowohl hier als auch in anderen Fabriken, dauernd in das Firmengeschehen ein.

1940, August Durch den 2. Wiener Schiedsspruch muss Rumänien Nordsiebenbürgen an Ungarn abtreten. Dadurch wird die sächsische Gemeinschaft auseinander gerissen und auf zwei Länder verteilt.

1940 Der Streit zwischen den beiden politischen Gruppierungen, den Fabritianern und den nationalsozialistisch orientierten Devern (Anhänger der Deutsche Volkpartei Rumäniens DVR), der sogar quer durch die Familien ging, wird mit der Ernennung von Andreas Schmidt zum Volksgruppenführer durch die Naziführung Deutschlands, beendet.

1940, September Tausend-Mann-Aktion. Etwa 1000 Freiwillige, vom neuen Geist beseelte deutsche Jugendliche werden von der Volksgruppenführung aus dem Land geschleust und in Deutschland in die Wehrmacht eingegliedert. Unter ihnen sind auch Agnethler, die nach ihrem Weggang zu Hause fast Heldenstatus genossen haben und teilweise auch heute noch genießen.

1940, September Deutsche Lehrtruppen kommen nach Rumänien. In Agnetheln, wie auch in anderen Ortschaften, gab es viele Einquartierungen, die von den sächsischen Familien mehrheitlich mit Überschwang begrüßt wurden.

1940, November Durch ein Gesetz wird die deutsche Volksgruppe aufgewertet und zur rumänischen juristischen Person des öffentlichen Rechts mit dem Namen Deutsche Volksgruppe in Rumänien erklärt. Sie kann neben der Fahne des rumänischen Staates auch die Flagge des deutschen Reiches hissen.

1941, Februar Zu Ehren der in Agnetheln stationierten deutschen Lehrtruppen wurde der größte Urzel-Festzug seit Gedenken ausgerichtet. Es sollte, bedingt durch den Krieg und die danach folgenden Ereignisse, der letzte Urzellauf bis zu seiner Wiederaufnahme im Jahre 1969 sein.

1941, 22. Juni Rumänien tritt an der Seite Deutschlands in den Krieg gegen die Sowjetunion ein.
1943 Abkommen zwischen dem Deutschen Reich und Rumänien über die freiwillige Ableistung des Wehrdienstes der wehrfähigen Rumäniendeutschen in der Deutschen Wehrmacht (Waffen-SS). Viele Agnethler werden in die SS-Division Prinz Eugen, die in Jugoslawien im Einsatz ist, eingegliedert. Der Divisionskommandant, General Artur Phleps, ist der Sohn von Gustav Phleps der vor dem 1. Weltkrieg Arzt in Agnetheln war.
Zum Jahresende 1943 sind 12 % aller Siebenbürger Sachsen (etwa 30.000 Männer) Angehörige der deutschen Wehrmacht. Im Zweiten Weltkrieg sind von den 31 in der rumänischen bzw. 326 in der deutschen Armee dienenden Agnethler Sachsen 106, d.h. über 30 % gefallen bzw. vermisst. Ein besonders tragisches Schicksal ereilt die Agnethler Familien Mras und Wellmann, die jeweils drei Söhne als Kriegstote zu beklagen haben.
Der Wehrdienst der Sachsen in der deutschen Wehrmacht hat wesentlich dazu beigetragen, das Verhältnis der Sachsen zum rumänischen Staat zu belasten. So wurden alle Sachsen in den ersten Jahren nach Kriegsende einer Kollektivschuld bezichtigt, als Nazi-Kollaborateure eingestuft und entsprechend behandelt.

1944, 23. August Durch einen vom König Michael inszenierten Putsch wird der Führer des Staates Marschall Antonescu verhaftet, an die Kommunisten und von diesen danach an die Russen ausgeliefert. Rumänien kündigt das Kriegsbündnis mit Deutschland auf und tritt auf die Seite der Alliierten (Russen) über. Ab diesem Zeitpunkt beginnt praktisch die kommunistische Ära des Landes, die bis zum Sturze Ceaescus im Dezember 1989 andauert.
Nach dem Putsch erlischt das gesamte öffentliche und kulturelle Leben der Siebenbürger Sachsen. Die Volksgruppenführung taucht unter, flieht oder wird verhaftet. Die Deutschen werden insgesamt zu Kollaborateuren Hitlerdeutschlands erklärt und als solche verfolgt, enteignet und in vielfacher Weise gedemütigt.

Gründungsjahre und Aktivitäten der sächsischen Vereine

Das äußerst rege Vereinsleben Agnethelns wird durch die große Zahl von Vereinen dokumentiert. Zur Vervollständigung und zur besseren Übersicht werden alle Vereine nachfolgend kurz zusammengefasst aufgeführt Ergänzend hierzu sind im Anhang einige Kulturhistorische Dokumente welche die Tätigkeit einiger Vereine belegen, angeführt.
1862 Liedertafel. Gegründet vom Friedensrichter Christian Roth. Daraus entstand ein Jahr später der Musikverein.
1863 Musikverein. Ist der älteste Agnethler Verein. Er besitzt eine Chorschule, einen Frauen- und Männerchor, einen gemischter Chor und ein Orchester. Pflegt das deutsche und sächsische Volkslied. Trägt wesentlich zum kulturellen Leben Agnethelns durch Aufführungen, Konzerte, Gesangdarbietungen, Bällen u. a. bei. Dem örtlichen Musikleben hat der Musikdirektor Karl Walter, der dem Verein ab dem Jahr 1906 fast dreißig Jahre vorstand, neue Impulse gegeben.
1864 Agnethler Spar- und Vorschussverein. 1897 umgewandelt in eine Aktiengesellschaft als Genossenschaft und ab 1927 als Agnethler Bank AG. 1936 kam zu dieser die Gewerbebank AG hinzu.
1869 Lese- und Geselligkeitsverein. Mit Leihbücherei für Fachbücher, Belletristik und eigenem Kasino im Rathaus wo Zeitschriften und Zeitungen aus Deutschland, Siebenbürgen und Agnetheln (Ab 1909 das Agnethler Wochenblatt und ab 1912 das Faschingsblatt Harbachkradder) aufliegen.
1876 Freiwillige sächsische Feuerwehr. Mit 140 Aktiven, technischer Ausrüstung und eigener Musikkapelle und Fahne. Neben den vorgesehenen Pflichten finden die Vereinsmitglieder auch Zeit für die Organisation von unterhaltsamen Veranstaltungen. Unvergesslich bleibt das von der Feuerwehr eingeführte Waldfest im Zeppenbäsch, das Majalis (später Gregori genannt) das ab dem Jahre 1885 als obligatorisches Fest jährlich am Pfingstmontag gefeiert wird. Die Fahne und ein alter Helm die stets in der Obhut der Feuerwehr waren, wurden vom letzten sächsischen Vereinsvorsteher dem Harbachtalmuseum geschenkt.
1876 Agnethler sächsischer Verschönerungsverein. Betreibt die Verschönerung des Ortes, z. B. durch die Anlage des Höhenparks, Steinburg, der Kastanien- und Lindenallee am rechten bzw. am linken Harbachufer sowie deren Pflege.
1883 Agnethler evangelischer Frauenverein. Verfolgt hauptsächlich soziale Aufgaben wie Armen-, Kranken- und Waisenpflege sowie Friedhof- und Kirchenpflege. Genannt werden müssen aber auch die vielen kulturellen Tätigkeiten des Vereins (Theateraufführungen, Bälle, Leseabende u. a.) und die Unterstützung durch Geldbeschaffung zum Bau einer(s) Kinderbewahranstalt (Kindergartens) und einer Friedhofkapelle.
1891 Evangelischer Krankenpflegeverein mit fest angestellter Krankenschwester.
1891 Agnethler Turnklub. Ab 1898 Agnethler sächsischer Turnverein A. S. T. V. Betreibt Turnen, Handball, Leichtathletik. Wirkt, wie auch viele andere Vereine, am gesellschaftlich-kulturellem Leben der Stadt mit.
1897 Landwirtschaftlicher Ortsverein. Fördert die Einführung der neuesten Errungenschaften der modernen Landwirtschaft und deren technische Ausstattung.
1898 Evangelischer Leichenbestattungsverein (1924 stillgelegt).
1900 Verein der Gustav-Adolf-Stiftung. Das älteste evangelische Hilfswerk (gegründet 1832 in Deutschland) zur Unterstützung der ev. Diasporagemeinden.
1901 Agnethler sächsischer Bürger- und Gewerbeverein. Besitzt eine eigene Gaststätte mit Kasino (Lesezimmer) und Kegelbahn.
1910 Jagdgesellschaft Hubertus . Pachtet und pflegt Jagden für seine Mitglieder
1919 Agnethler sächsischer Tennisclub. Wurde 1927 dem Turnverein als eigene Abteilung angeschlossen.
1920 Agnethler sächsischer Touristenverein. (Ab den Dreißiger Jahren Deutscher Jugendbund). Pflegt Wandern und Geselligkeit.
1921 Agnethler sächsische Frauenvereinigung (Frauenbund). Hatte sich ähnlichen Aufgaben wie der Evangelische Frauenverein verschrieben, verfolgte aber auch politische Ziele. (Stärkung des sächsischen Volksbewusstseins).
1927 Agnethler sächsischer Kleintierzuchtverein. Fördert die Zucht und Haltung von Kleintieren.
1932 Arbeiter Spar- und Hilfsgemeinschaft. Hilft bei Bedarf den Mitgliedern zur Vergabe von Krediten durch gemeinschaftliches Sparen.
1937 Kreditgenossenschaft. Fördert das Bausparen und vergibt Baudarlehen.
Nach dem Umsturz vom 23. August 1944 wurden sämtliche sächsischen Vereine aufgelöst.
1944, September Rumänische Truppen, die inzwischen auf der Seite der Russen kämpfen werden von vier deutschen Stukas (Sturzkampfbombern) in der Nähe von Agnetheln angegriffen. Die dabei verwundeten Soldaten werden in Räumlichkeiten der rumänischen Schule, die zum Lazarett umfunktioniert wurden, eingeliefert. Die von der sächsischen Bevölkerung befürchtete Rache der Rumänen ist ausgeblieben.

1945, Mitte Januar Deportation der arbeitsfähigen sächsischen Frauen (18 bis 30 Jahre) und Männer (17 bis 45 Jahre) zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion. In Agnetheln waren 268 Personen von dieser Maßnahme betroffen. Davon sind 16 vor Ort bzw. nach der Heimkehr an den Folgen der Deportation gestorben.
Die Personenlisten für die später vorgesehene Deportation wurden von den rumänischen lokalen Behörden mit großem Eifer zusammengestellt. Ein paar Tage vor der Deportation wurden die Betroffenen in der deutschen Schule kaserniert. Ihre Bewachung bis zum Abtransport und auf dem Weg bis zum Verfrachten in die Züge wurde von freiwilligen rumänischen, zu diesem Zweck kurzfristig bewaffneten Zivilisten übernommen. In diesem Zusammenhang muss allerdings auch erwähnt werden, dass es auch Fälle gegeben hat, in denen gedemütigten Sachsen während der Deportation und danach von Seiten der rumänischen Bevölkerung Anteilnahme und Hilfe zuteilwurde.
Die heimkehrenden jungen Männer wurden nach fünf Jahren Zwangsarbeit anschließend zum rumänischen Arbeitsmilitär eingezogen, wo sie drei Jahre Schwerstarbeit in Bergwerken und auf verschiedenen Großbaustellen leisten mussten. Für diese ungerechte und inhumane Maßnahme war allein der rumänische Staat verantwortlich, der diesbezüglich nicht behaupten kann, dass er wie im Falle der von den Russen angeordneten Deportation geschehen, nur gezwungener Maßen daran beteiligt war.

1945, Februar Gesetz zum Status der nationalen Minderheiten. Das Gesetz findet ausdrücklich keine Anwendung auf die deutsche Minderheit. Ab diesem Zeitpunkt befindet sich diese in einem Ex-lex-Zustand, also ohne gesetzlichen Schutz und ist allen Willkürmaßnahmen ausgesetzt. Die Zeit der Gesetzlosigkeit, schamlos ausgenutzt von allseits bekannten örtlichen Diktatoren, müssen auch die Agnethler mehrere Jahre, Tag für Tag, über sich ergehen lassen. Erst ab 1948 wird das Gesetz durch Regierungserlass auch auf die Angehörigen der deutschen Minderheit ausgedehnt.

1945, 23. März Agrarreform, im Zuge derer der gesamte sächsische Agrarbesitz (Boden, Gerätschaften, Maschinen, Zugtiere und sogar Häuser und Höfe) enteignet und an rumänische Bauern verteilt wird. Dadurch wird über Nacht der sächsische Bauernstand, das waren immerhin 70 % der Sachsen, wirtschaftlich ruiniert und sozial entwurzelt. Ihren späteren Lebensunterhalt bestreiten sie durch Beitritt in eine der neu geschaffenen Kollektivwirtschaften, als Landarbeiter auf einer Staatsfarm oder als Industriearbeiter in den Städten.
Die Agrarreform wurde zwar durch ein Dekret-Gesetz (Nr. 187/1945) der kommunistischen Regierung unter Petru Groza beschlossen, aber die Nutznießer und Ausführenden des Gesetzes vor Ort haben sich durch ihre Taten auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

1945 Ende der Amtszeit des letzen frei gewählten sächsischen Bürgermeisters Agnethelns, Karl Platz.

1945 Ab diesem Jahr gibt es in Agnetheln auch eine ungarische Schule mit Sitz im ehemaligen Hutmacher-Fernengel-Eckhaus aus in der Obergasse. Aus Mangel an Kindern werden am Anfang in einer Klasse vier Jahrgänge und später in zwei Klassen jeweils zwei Jahrgänge gleichzeitig unterrichtet. Im Jahre 1968 wurde die Schule geschlossen.

1946, Februar Durch Vermittlung der evangelischen Kirche finden bedürftige sächsische Schulkinder aus der Nordsiebenbürger Gemeide Paßbusch für ein Jahr Aufnahme mit Kost und Logie in Agnethler Gastfamilien. Die Familien dieser Kinder standen durch die Flucht vor der nahenden Front nach Österreich und die durch die Russen erzwungene Rückkehr ohne Haus, Hab und Gut da und benötigten dringend Hilfe.

1946 In der Mitte des historischen Marktplatzes, auf dem auch von den umliegenden Gemeinden stark besuchte Wochenmärkte stattfinden, wird ein Denkmal in Form eines Obelisken, um den herum später ein Park angelegt wird, errichtet. Dies war ein erster Schritt zur Beseitigung des alten historischen Stadtkerns Agnethelns. Mit dem einige Jahre später (1962), nach der Beseitigung des Denkmals erfolgten Bau des Parteigebäudes, das heute als Rathaus dient, wurde die Zerstörung des alten Stadtkerns vollendet und die freie Sicht zur Kirchenburg versperrt.

1947 Durch die Verlegung von Erdgaspipelines quer durch und neben Agnetheln im Rahmen einer landesweit bekannten Großbaustelle Agnita-Botorca erlangt Agnetheln einen noch nie dagewesenen Bekanntheitsgrad.

1947, 30. Dezember König Michael wird von den Kommunisten zur Abdankung gezwungen und muss das Land verlassen. Rumänien wird Volksrepublik.

1947 Neugründung der Agnethler Blasmusik unter der Leitung von Pfarrer Drechsler. Die Blasmusik setzt die Tradition des bereits 1863 gegründeten Musikvereins fort. Weitere Dirigenten sind der Lehrer Michael Fernengel (Fizi), Martin Bilz, Hans Kessler und Honi Frank. Unter der Leiteung des Letzeren errang die Kapelle innerhalb von vier Jahren zweimal Platz 1 in Wettbewerben auf Landesebene. Die Blasmusik bildet den Schwerpunkt der kulturellen Aktivitäten der Sachsen Agnethelns. Dazu gehörten:die Musikantenbälle, die Musikkonzerte, das Gregori-Waldfest im Zipfelwald, das Ständchen am 1. Mai auf der Steinburg, die Musikbegletung beim Urzellauf u. a.

1948 Weihung mit großer Feierlichkeit der neuen rumänisch-orthodoxen Kirche Constantin i Elena durch den Metropoliten Siebenbürgens. Der Kirchenbau von 1939-1948 wurde vom Agnethler Baumeister Friedrich Zinz, in Anlehnung an die Tradition der byzantinischen Kirchenarchitektur, in der Nähe der Einmündung des Grodenbachs in den Harbach errichtet. Die Bauarbeiten wurden von sächsischen Handwerkern ausgeführt.

1948, 11. Juni Verstaatlichung der Industrie-Gewerbe-Handels- und Bankunternehmen u. a. Die enteigneten Objekte erhalten im ganzen Land neue, politisch geprägte Namen. So wurde z.B. in Agnetheln die Leder- und Schuhfabrik Andree & Ehrmann in 7 Noiembrie und die Strickwarenfabrik Rehner in 9 Mai umbenannt.
Es muss aber auch erwähnt werden, dass die verstaatlichten Betriebe ausgebaut, modernisiert und bis zu ihrer Kollabierung nach der Wende von 1989 viele neue Arbeitsplätze geschaffen haben.
Die Handwerker fanden, außer in den Fabriken, Arbeit in einer neu geschaffenen Genossenschaft namens Hîrtibaciu (später Inainte) oder im Betrieb der Lokalindustrie IMIX, die Kaufleute in der Handelsgenossenschaft Agnieana. Ein-Mann-Handwerksbetriebe durften, da sie nach dem damaligen Verständnis ohne zusätzliches Personal niemanden ausbeuten konnten, weiterhin privat arbeiten.

1949 Die große Handballtradition in Agnetheln rückt in das Blickfeld von Fachkreisen aus Bukarest. Ab diesem Jahr werden immer wieder Agnethler Handballer (Kurt Wagner, Otto Thellmann und viele andere) zum Handballclub der Armee CCA (Casa Central a Armatei) eingezogen. Unter Kurt Wagner als Mannschaftskapitän wird der Klub mehrfacher Landesmeister im Feldhandball. Bereits zwei Jahre nach seinem Debüt beim Bukarester Klub, ist er Mitglied, Kapitän und Spielmacher der Nationalmannschaft. Für seine großen Verdienste um den rumänischen Handball, wird ihm der Titel Meister des Sportes verliehen. Otto Thellmann wird 1961 mit der rumänischen Nationalmannschaft Weltmeister im Hallenhandball.

1949 Heimkehr der letzten Russlanddeportierten. Die letzten Kriegsgefangenen aus Russland kehren erst Mitte der fünfziger Jahre zurück. Die im Westen nach kurzer Gefangenschaft entlassenen sächsischen Soldaten verbleiben in ihrer Mehrzahl dort. Diese und die Deportierten, die anfangs von Russland nach Deutschland abgeschoben werden, lösen später, unter anderem, die Auswanderung der zu Hause verbliebenen Anverwandten nach Deutschland und Österreich aus.

1949 Gründung des Deutschen Antifaschistischen Komitees mit Sitz in Bukarest und Zweigstellen in den Ortschaften mit deutscher Bevölkerung. Die Agnethler Zweigstelle wurde im Hause der Familie Schnabel in der Mittelgasse eingerichtet und von drei Sachsen betreut denen man wirklich nicht nachsagen konnte, dass sie zu den Klügsten gehörten. Das antifaschistische Komitee wurde von den Sachsen nicht als ihr Vertreter akzeptiert. Dies einerseits wegen der Persönlichkeiten die dort tätig waren (einer von ihnen hatte nur vier Volksschulklassen) und anderseits weil diese als Kommunisten eingestuft wurden. Demzufolge wurden die Aktivitäten des Komitees mit großem Misstrauen bedacht. Es war aber dennoch die einzige Anlaufstelle wo man nach den jahrelangen Entrechtungen als Sachse für ein Anliegen einigermaßen Gehör finden konnte.
Als Presseorgan des Komitees erscheint ab diesem Jahr die deutschsprachige Tageszeitung Neuer Weg.

1949 Beginn der Arbeiten am ersten Donau-Schwarzmeerkanal, in dessen Zwangsarbeitslagern unzählige politische Gefangene planmäßig durch Schwerstarbeit, Folter und Unterernährung ums Leben gekommen sind. Bereits die einfache Erwähnung Kanal hat damals im ganzen Land, auch in Agnetheln, das auch mehrere Deportierte zu beklagen hatte, Angst und Schrecken verbreitet.

1950 Einrichtung einer Entbindungsstation (maternitate) in der Niedergasse in einem der schicksten Häuser Agnethelns, genannt Dollarchen. Das Haus wird von der Ehefrau des zeitweise nach Amerika ausgewanderten Ehemannes mit Hilfe der von diesem überwiesenen Dollar errichtet. Daher auch der Name. Die neu geschaffene zentrale Endbindungsstation ersetzt die bis zu diesem Zeitpunkt üblichen Hausgeburten.

1950 Beginn der Auswanderung der Deutschen aus Rumänien.
Der Grund hierfür ist in erster Linie in der vorher erlittenen totalen Entrechtung, der jahrelangen Diskriminierung, der Deportation nach Russland, den Enteignungen durch die Agrarreform und den Verstaatlichungen, nicht zuletzt aber auch in der Tatsache zu suchen, dass den nach dem Krieg im Westen verbliebenen ehemaligen Kriegsgefangenen die Rückkehr nach Rumänien mehrere Jahre verweigert wurde.

Ab dem Jahr 1950 bis zur Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1967 sind ungefähr 16.000 Deutsche, etwa 1000 pro Jahr, ausgewandert. In den nächsten Jahren stieg der Jahresdurchschnitt auf ca. 3500 Personen und nach der Vereinbahrung, die Bundeskanzlers Helmut Schmidt mit Bukarest im Jahre 1978 traf, konnten jährlich ca. 12.000 Deutsche ausreisen. Diese Zahl stieg kontinuierlich bis zum Jahre 1990 an, als nach dem Sturze Ceauescus, die Mehrheit der verbliebenen Deutschen das Land fast fluchtartig in Richtung Bundesrepublik verließ.
Was Anfang der fünfziger Jahre als ein Rinnsaal begonnen hatte, ist im Laufe der Jahre zu einem nicht mehr zu bändigenden Strom angeschwollen, so dass heute die Deutschen in Rumänien bis auf eine national nicht überlebensfähige Minderheit geschrumpft sind.
Das kommunistische Regime ließ sich die Ausreise der Deutschen teuer bezahlen. Außer der Kopfpauschale von mehreren Tausend DM/Person, die von der Bundesrepublik gezahlt wurde, haben auch viele Familien privat beträchtliche Summen aufbringen müssen, die dann vertraulich an Mittelsmänner des Geheimdienstes Securitate oder an andere staatliche Stellen übergeben wurden.

Ergänzend soll hier die Entwicklung der der Einwohnerzahlen der sächsischen Bevölkerung Agnethelns im Laufe der letzen drei Jahrhunderte in gerundeten Zahlen angeführt werden.

1720: Gesamt 1800 Einwohner
1891: Gesamt 3200 Einwohner, davon 2400 Sachsen (75 %)
1941: Gesamt 4800 Einwohner, davon 2800 Sachsen (58 %)
1956: Gesamt 9000 Einwohner, davon 3400 Sachsen (38 %)
1977: Gesamt 13000 Einwohner, davon 3700 Sachsen (28 %)
1992: Gesamt 12000 Einwohner, davon 400 Sachsen (3,0 %)
Ende der vierziger Jahre überrundet die Anzahl der rumänischen Bevölkerung erstmals die der sächsischen.

Durch die im Laufe der Jahre dauernd fallende Anzahl der Sachsen ist die siebenbürgisch- sächsische Lebensart Agnethelns immer mehr ins Hintertreffen geraten. Nach dem Sturze Ceauescus 1989 ist sie durch den Exodus der Sachsen praktisch gänzlich verschwunden. Danach erinnert nur noch die Bausubstanz an die alten Zeiten und den ehemals sächsischen Charakter der Stadt.

1950 Durch eine Verwaltungsreform werden die Komitate abgeschafft und das Land in Regionen und Raions eingeteilt. Agnetheln, das vorher Teil des Großkokler Komitats war, gehört danach zu der Region Kronstadt und wird zur Stadt und zum Verwaltungszentrum des neu geschaffenen Raionul Agnita erhoben.
Durch eine erneute Verwaltungsreform im Jahre 1968 wird das Land in Kreise (Judee) eingeteilt. Agnetheln gehört ab diesem Zeitpunkt zum Kreis Hermannstadt.

1950 In Agnetheln werden oberhalb des Bahnhofs drei Zentrallager für Lebensmittel, Textilien und Getränke zur Belieferung der Konsumgenossenschaften der anliegenden Gemeinden gebaut. Die Verwaltung und Steuerung aller Konsumgenossenschaften des Kreises, von den Agnethlern kurz Union genannt, befindet sich im Hause von H. Stirner in der Weihergasse.
In der gleichen Zeit werden unterhalb des Bahnhofs zwei große Lagerstätten für Getreide, das die Bauern als Zwangsabgaben (cote) abliefern mussten, errichtet.

1950, April Verstaatlichung der sächsischen Häuser. Die meisten Bewohner durften, sofern sie nicht bereits vorher ihre Häuser verlassen mussten, weiterhin in ihren Häusern wohnen bleiben, mussten aber an den Staat Miete zahlen.

1951 Auf dem Gelände der aufgelassenen Spiritusfabrik wird ein neues städtisches Unternehmen gegründet und laufend ausgebaut. Es beschäftigt Mechaniker, Tischler, Tapezierer, Stricker u. a. Zum Unternehmen gehörten auch eine Leimfabrik, die Ziegelfabrik, alle Mühlen und Bäckereien des Kreises Agnetheln sowie der Fischteich bei Henndorf. Im Laufe der Jahre hat die Firma öfter den Namen gewechselt von IRMA (Intreprindere Raional Mixt Agnita) zu Economic und IMIX. Nach der Wende von 1989 stellt die Firma ihre Aktivitäten ein.

1951 Eine Gruppe von Partisanen aus den Südkarpaten, die einen erbitterten Kampf gegen das etablierte kommunistische System führten, überfällt in einer Novembernacht ein Wirtschaftsgebäude der Staatsfarm beim Salzbrunnen, das früher der Familie Lutsch gehörte, um sich mit Lebensmitteln für ihr Winterquartier in den Karpaten einzudecken. Trotz eingeleiteter Großfahndung der Securitate und der Polizei am nächsten Morgen werden die Täter, die sich in der schneefreien Zeit des Jahres teilweise in der Gegend um Agnetheln versteckt halten, nicht gefasst.

1952 Zwangsumsiedlung von Kronstädter Klassenfeinden in andere Ortschaften des Landes. Die Agnethler haben sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten bemüht, das schwere Schicksal der betroffenen Familien, die ihrer Stadt zugewiesen wurden, (Scherg, Schiel, Gref u. a.) zu erleichtern.

1952 Agnetheln erhält ein Kulturhaus in der Mittelgasse, neben der Lederfabrik. Der Bau wurde teilweise mit dem Baumaterial des im Rohbau befindlichen großen Hauses der Familie Schönauer aus der Weihergasse, das zu diesem Zweck abgetragen wurde, bewerkstelligt. Durch das allen Bürgern zugängliche Kulturhause belebt sich allmählich auch das Kulturleben der Sachsen (Theateraufführungen von Laiengruppen, Konzerte und Bälle der Blasmusik, Brauchtumspflege, Abschlussfeiern der Schule, Musikunterricht u. Ä.). Erwähnenswert sind auch die vielen Gastvorstellungen der 1953 bzw. 1956 neu gegründeten Deutschen Staatstheater Temesvar und Hermanstadt. Einige Jahre später wurde das Kulturhaus zu einem Kino umfunktioniert und 1970 neben der rumänischen Schule ein neues, moderneres Kulturhaus eingeweiht.

1953 Agnetheln erhält eine zentrale Radiostation (die Sachsen mussten ihre Radios nach dem 23. August abgeben) und alle Haushalte werden mit einem Difuzor (Lautsprecher) ausgestattet. Zusätzlich werden in den einzelnen Straßen große Lautsprecher auf Masten montiert die mit ihrer Lautstärke die Anlieger rund um die Uhr regelrecht terrorisierten. Die Lautsprecher, zur politischen Dauerberieselung der Einwohner konzipiert, wurden an eine zentrale Sendestation angeschlossen. Abends gab es für eine Stunde eine Lokalsendung, einmal wöchentlich auch in deutscher Sprache. Die Sendung wurde von den Sachsen vor allem nur in Erwartung des oft im Programm stehenden Zitterspiels von Josef Waldöfner gehört. Durch die Verkabelung der Haushalte ergab sich eine neue Möglichkeit der Kommunikation und der Verbreitung von Nachrichten. Somit wurde auch der Beruf des historischen Verkünders von Lokalnachrichten, des Trommlers, überflüssig.

1953 Von einem amerikanischen Spionageflugzeug werden in einem Waldgebiet neben Agnetheln (Fetea) Regimegegner, darunter der ehemalige Legionär Samoil, mittels Fallschirmen abgesetzt. Sie werden nach ihrer Verhaftung zusammen mit einem sächsischen Helfer aus Zeiden hingerichtet.
Die Familien der Spione wurden, wie im Kommunismus üblich, in Sippenhaft genommen und mussten langjährige Haftstrafen verbüßen. Davon betroffen waren mehrere Mitglieder der Familie Samoil aus der Weihergasse und der Familie Reiner aus Schönberg, aus deren Mitte die Ehefrau des Helfers stammte.
Im Jahre 2003, fünfzig Jahre nach der Hinrichtung der Fallschirmagenten, errichten Angehörige aus Rumänien und den USA in der Nähe der damaligen Landungsstelle ein Mahnmal.

1955, August Größte Überschwemmung des Grodenbaches seit Menschengedenken, bei welcher der Bach über die ganze Länge der Grodengasse über die Ufer tritt und viele Höfe überschwemmt. Der Grund für dieses einmalige Naturereignis war das gleichzeitige Auftreten eines Wolkenbruchs am Oberlauf des Grodenbaches und des Rückstaus des angeschwollenen Harbachs.

1955, Herbst Im Großraum Agnetheln finden, beginnend am Schmillenfäild bei Großschenk, die größten Manöver des rumänischen Heeres nach dem Krieg statt, wodurch Agnetheln über mehrere Wochen in ein regelrechtes Heerlager verwandelt wird. Der Feldherrenhügel des Generalstabs wird auf der Kuppe des Giedesberges eingerichtet.

1955 Gründung einer Maschinen- und Traktorenstation SMT (Staie de Maini i Tractoare) auf einem Gelände gegenüber vom Bahnhof. Dieser zentrale technische Stützpunkt hat kleinere Einheiten vor Ort bei allen Kollektivwirtschaften des Agnethler Kreises. Für die Instandhaltung des Maschinenparks und für die gesamte Koordination ist die Zentrale zuständig.
Zurzeit befindet sich auf dem Gelände eine Parkettfabrik eines italienischen Unternehmers.

1955 Inbetriebnahme eines Gartenrestaurants hinter dem Feuerwehrhaus, am Aufgang zur Steinburg. Für gute Stimmung in dem rege besuchten Lokal sorgt die Musikkapelle Perla, bestehend aus Scholtes Ferenc, Orendi Wilhelm, Diezko Eduart und Rehner Hans.
Ein weiteres, kleineres Gartenrestaurant genannt Mioria wird in einem höher gelegenen Pavillon der Steinburg eingerichtet.

1956 In Agnetheln wird der Kern eines Bauunternehmens ansässig, das in den folgenden Jahren ständig expandiert. Dies Unternehmen hat die wichtigsten Bauvorhaben Agnethelns nach dem Krieg realisiert. Beispiele: die Wohnblocks auf der Steinburg, mehrere Verwaltungs- und Industriebauten, Brunnen, Wasserleitungen und Wasserbehälter, das Freibad auf der Steinburg u. a.

1956 Rückgabe der sächsischen Häuser und Höfe (ohne Grundbesitz!), die im Zuge der Agrarreform (1945) und später (1950) enteignet wurden.

1956 Einweihung des Krankenhauses am Ostrand der Steinburg. Das Krankenhaus wird mit Wasser aus einem Behälter, der auf dem Tanzplatz der Steinburg gebaut wurde, versorgt. Der Behälter wird aus einem zu diesem Zweck gebauten Brunnen gespeist, der sich in Bahnhofsnähe am linken Ufer des Harbachs befindet. Die dazu gehörende Wasserleitung ist die erste Agnethels.
Im gleichen Jahr wird der erste Wohnblock auf der Steinburg gebaut.

Eine kurze historische Rückblende über die Entwicklung des Gesundheitswesens in Agnetheln sei hier eingefügt. Um das Jahr 1600 besaß der Marktflecken Agnetheln schon ein Hospital mit einem akademisch ausgebildeten Arzt namens Ezekiel Kyr. Danach wirkten in Agnetheln über 200 Jahre lang nur noch so genannte Chirurgi. Das waren von Ärzten ausgebildete Sanitäter, die ähnlich wie die Handwerker zunftmäßig organisiert waren.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts, nachdem Agnetheln Garnisonsort geworden ist und österreichische Kavallerie beherbergt, gibt es Militär-Sanitätskader die hier ihren Beruf praktizieren und möglicherweise auch zivile Personen behandelt haben. In dieser Zeit (1815) wird auch die erste Apotheke eröffnet.
Ab 1864 gibt es in Agnetheln nach dem Wirken von Dr. Kyr erstmals nach über 200 Jahren wieder akademisch ausgebildete Ärzte. Der erste war Dr. Carl Binder, der nach zehn Jahren von seinem Schwager Dr. Andreas Breckner abgelöst wird. Seine Nachfolger waren der Bezirksarzt Dr. Josef Weißkircher, der Kreisarzt Dr. Gustav Phleps (Vater des kommandierenden Generals der Prinz Eugen- Division, Arthur Phleps), Dr. Wagner und Dr. Hermann Breckner. Alle die genannten Ärzte haben im Ärztehaus gewirkt, dem Barockbau der heute das Harbachtalmuseum beherbergt. Weitere Ärzte waren Dr. Johann Zikeli, Dr. Reissenberger (letzter sächsischer Kreisarzt 1925), Dr. Stnil Octavian (erster rumänischer Kreisarzt, 1926), Dr. Brate, Dr. Kuno Theil, sowie die Zahnärzte Dr. Felix Hager und Dr. Karl Bernwieser. Die vielen nachfolgenden Ärzte können nicht mehr namentlich erwähnt werden.

1956 Agnetheln wird an das Erdgasnetz angeschlossen.

1957 Gründung des Harbachtalmuseums durch den Historiker Erhardt Andrée. Der Sitz des Museums befindet sich in dem imposanten, im Biedermeierstil erbauten Haus der Familie Dr. Breckner in der Mittelgasse. Das Museum bewahrt unter anderem ein Gesamtwerk von Erasmus von Rotterdam auf.

1959 Durch eine erneute Schulreform verlieren die deutschen Schulen ihre Selbständigkeit und werden mit rumänischen Schulen zusammengelegt.

1960 In Agnetheln wird neben dem Schlossbach eine Leimfabrik in Betrieb genommen. Ihr Produkt wird aus den Abfällen der Rohhautbearbeitung der örtlichen Lederfabrik hergestellt und hauptsächlich an die örtlichen Tischlereien geliefert. Obwohl die Fabrik wegen der sozialistischen Mangelwirtschaft teilweise mit alten, landesweit von Schrottplätzen besorgten abenteuerlichen Maschinen ausgestattet werden musste, hat sie letztendlich dennoch erfolgreich produziert. Dies beweist wieder einmal eindrucksvoll den Einfalls- und Erfinderreichtum der Agnethler.
Zwei Beispiele für die Technik dieser Fabrik sollen dazu beitragen die vielen, nach Jahreszahlen geordneten, sachlichen Ausführungen etwas aufzulockern. So stammte z. B. die Kolbenpumpe, die Wasser aus dem Schlossbach zog, aus dem Jahre 1903, wurde aus Talmesch besorgt und wieder betriebsfähig gemacht. Die Hauptantriebsmaschine, ein alter leistungsschwacher Verbrennungsmotor, war durch Überlastung ständig derart überhitzt, dass man Angst haben musste, es fliege einem alles um die Ohren. Der Mechaniker Guib aber zündete sich in aller Ruhe und mit Gottvertrauen seine Zigaretten am heißen Motorblock an.

1962, September In einer Nacht wird die Fetea, das Waldgebiet zwischen Agnetheln und Roseln, von einer heftigen Explosion erschüttert. Danach steigt ein riesiger Feuerball zum Himmel und erleuchtet die ganze Gegend kilometerweit taghell. Die Ursache dieses apokalyptischen Ereignisses war eine ungeheure Explosion in der Gasfernleitung Agnita-Botorca. So etwas war, laut Fachliteratur, noch nie und nirgends vorgekommen. Durch die Nähe zu diesem einmaligen Ereignis kann das angrenzende Agnetheln sich rühmen, Zeuge einer Weltpremiere gewesen zu sein.

Das riesige, fast unberührte Waldgebiet zwischen Agnetheln und der großen Kokel, die Fetea eingeschlossen, ist ein Eldorado für die Tierwelt und eines der bevorzugten Jagdgründe der neuen Herren des Landes, der Nomenclatura, und wird oft von deren obersten Vertretern, von Premier Maurer und dem Partei- und Staatschef Ceaescu, besucht.

1968 Fast fünfundzwanzig Jahre nach dem letzten sächsischen Bürgermeister Karl Platz zieht in diesem Jahr wieder ein Sachse, Karl Heinz Gross, diesmal als Vizebürgermeister ins Rathhaus ein. Das Amt bekleidet er bis 1974. Sein Nachfolger, Fritz Wädt hat für die nächsten zehn Jahre, bis 1984, dasselbe Amt inne.
Bereits einige Jahre vor und auch nach diesen Jahren sind mehrere Agneththler Sachsen in der mittleren Leitungsebene in verschiedenen Unternehmen tätig. Einige haben sogar den Sprung in die Führungsebene von Unternehmen, z.B. der Leder- und Schuhfabrik FIPA, der Lokalindustrie IMIX, der Maschinen- und Traktorenstation SMT, des Bauunternehmens TRCL und der Handwerksgenossenschaft Inainte, geschafft.
Auch hat es in dieser Zeit eine beträchtliche Zahl von Agnethlern gegeben, die eine Hochschule besucht und abgeschlossen haben.

1969 Der seit 1941 unterbrochene Urzellauf wird wieder erlaubt und findet mit jährlich steigender Teilnehmerzahl, deren Höchststand fast 600 ereicht, bis zum Massenexodus der Sachsen nach Deutschland im Jahre 1990, statt. Danach gibt es einige Jahre kein Urzellauf mehr.

Im Jahre 2006 wird der Urzellauf von rumänischer Seite wieder aufgenommen. Erst sind nur Schulkinder daran beteiligt, in den folgenden Jahren kommen auch Erwachsene dazu. Mitgemacht haben auch die wenigen noch in Agnetheln verbliebenen Sachsen.

1969 Der Hirscheldengraben wird im Stadtgebiet abgedeckt

1969 In der Nähe des Jahrmarktplatzes wird eine neue Tischlerei mit modernen Maschinen und einer Holztrocknungsanlage errichtet. Die Produktion geht fast ausschließlich ins westliche Ausland. Die Aktivitäten der beiden älteren Tischlereien (ehemals Barner bzw. Knall aus der Mittelgasse) werden auf Sonderbestellungen reduziert. Die Anlage läuft heute, nach mehreren gescheiterten Versuchen zur Weiterführung nach der Wende von 1989, privat betrieben auf Sparflamme weiter.

1969 Das über viele Jahre nach dem Krieg ausgesetzte Gregorifest wird ab diesem Jahr bis 1985 wieder traditionsgemäß, jeweils am Pfingstmontag, als Waldfest der Blaskapelle deklariert, im Zipfelwald gefeiert.

1971 Am Westhang der Steinburg wird von einer in Agnetheln ansässigen Baufirma nach langen Bemühungen ein neues Freibad errichtet und in Betrieb genommen. Das hierzu benötigte Wasser wird aus mehreren neuen Brunnen aus dem Dorfe Käbisch in einen 1000 Kubikmeter fassenden Behälter am Nordrand der Steinburg gepumpt und von dort in das Schwimmbad geleitet. Wegen Wasserknappheit, ausgelöst durch die Versandung der Pumpen und durch allgemeine Vernachlässigung, ist das Freibad ziemlich schnell zu einem Krötentümpel und zur Müllhalde verkommen. Obwohl durch die später verlegte Wasserleitung aus dem Gebirge eigentlich genügend Wasser vorhanden sein sollte, hat sich an diesem erbärmlichen Zustand bis heute nichts geändert.

1975 Beginn der Begradigung des Harbachs, dessen Ufer im Stadtgebiet mit Platten ausgelegt werden. Die erste Begradigung, für deren Realisierung von der Stadt auch Grundstücke von Privatpersonen aufgekauft wurden, damals Harbachregulierung genannt, wurde vor etwa hundert Jahren vorgenommen.

1979 Eröffnung eines Kaufhauses und eines Hotels in einem über dem Grodenbach errichteten Gebäude an der Schnittstelle der Grodengasse mit der Weiher- und Mittelgassegasse.

1980 Agnetheln begeht die 700-Jahrfeier seiner ersten urkundlichen Erwähnung. Aus diesem Anlass wird die Stadt von Staatschef Ceaescu mit dem Arbeitsorden 1. Klasse ausgezeichnet.

1987 Fertigstellung der Trinkwasserleitung aus dem Fogarascher Gebirge (Bâlea) nach Agnetheln. Das Gebirgswasser mündet in ein neu gebautes Sammelbecken bei Werd und wird von dort mit Hilfe einer Pumpstation in das bereits vorhandene Becken am Nordrand der Steinburg befördert. Von dort wird es zu den Verbrauchern (Strickwarenfabrik, Parteigebäude, Blocks auf der Steinburg) weiter geleitet.

1989, Dezember Im Zuge einer blutigen Erhebung des Volkes und eines Staatsstreichs wird der kommunistische Diktator Ceauescu nach 24-jähriger Herrschaft gestürzt und hingerichtet. Nach dem Regimewechsel nutzt die Mehrzahl der noch in Rumänien lebenden Siebenbürger Sachsen die Gelegenheit, in die Bundesrepublik Deutschland auszuwandern.

2001, August An dem neuen Denkmal gegenüber der orthodoxen Kirche für die gefallenen rumänischen Soldaten des 2. Weltkrieges wird auch eine Gedenktafel mit den Namen der 18 Agnethler Sachsen angebracht, die als Soldaten des rumänischen Heeres gefallen sind.

Die Gassen und Plätze Agnethelns

Leider konnte die Herkunft der alten Straßennamen nicht geklärt werden, auch nicht, ab welchem Zeitpunkt erstmals die behördliche Benennung der Straßen und das Anbringen der Straßenschilder erfolgte. Sicher ist allerdings, dass es bis zum Anschluss Siebenbürgens an Rumänien 1918 nur deutsche Straßennamen und Schilder gab. Diese wurden nach dem Veseudului) bzw. durch ins Rumänische übersetzte ehemalige deutsche Straßennamen (Str. Groden, Str. Abatorului, Aleea teilor) ersetzt.

Für spätere Namensgebungen wurden oft Namen von Persönlichkeiten der rumänischen Geschichte (Str. Mihai Viteazu, Str. Aurel Vlaicu, Str. Horea), aber kein Einziger der

sächsischen Geschichte herangezogen. Die auffallend wenigen Namen mit politischem Hintergrund nach dem Putsch vom 23. August 1944 (Str. 23. August) wurden nach dem Umsturz von 1989 getilgt. Danach wurden die meisten der alten rumänischen Namen beibehalten. Durch die Entwicklung der Stadt wurden die neu entstandenen Straßen natürlich Erwähnenswert ist die Tatsache, dass der Name Steinburg beibehalten wurde und dass der Platz vor unserer Kirche den Namen des Sachsenbischofs G. D. Teutsch erhalten hat.

Wegen fehlender Dokumentation betreffend die alten deutschen Straßennamen wurde auf die Erinnerungen mehrerer älterer Agnethler, die vor ca. dreißig Jahren ihr Wissen in Deutschland schriftlich niedergelegt haben, zurückgegriffen.

Die aktuellen rumänischen Straßennamen wurden uns freundlicherweise vom Agnethler Bürgermeister Curceanu zur Verfügung gestellt. Da mir kein aktueller Stadtplan Agnethelns zur Verfügung stand anhand dessen man die Straßennamen örtlich hätte zuordnen können, habe ich in mehreren Fällen die Straßennamen durch erklärende Texte ergänzt.

In der folgenden Aufzählung werden zuerst die aktuellen rumänischen und dann die gültigen deutschen Straßennamen vor dem Anschluss Siebenbürgens an Rumänien, aufgeführt. Danach werden in einigen Fällen auch Namen genannt die nur kurzfristig Gültigkeit hatten.

  1. Piata Republicii
    Marktplatz
    Frühere Namen: König Ferdinand-Platz, Piata Regele Ferdinand
  2. Piata G. D. Teutsch
    G. D. Teutsch-Platz
  3. Str. 1 Decembrie
    Mittelgasse
    Frühere Namen: Marktgasse (um 1900), Bischof Teutsch -Gasse (um 1920), Str. Teutsch, Str. Principalä, Str. 23. August
  4. Aleea castanilor
    Kastanienallee
    Die Baumallee am rechten Harbachufer zwischen der rumänischen Kirche und dem Marktplatz
  5. Str. Mihai Viteazu
    Niedergasse (mit „Löffelstadt“)
    Früherer Name: Str. Covesului
  6. Aleea teilor
    Lindenallee
    Die Baumallee am linken Harbachufer zwischen dem Teutschplatz und dem Ende der Obergasse
  7. Str. Aurel Vlaicu
    Obergasse
    Frühere Namen: Hötzendorfstraße (um 1917), Konrad Schmidt-Gasse (um 1930), Str. Värdului
  8. Str. Avram lancu
    Weihergasse
    Frühere Namen: Bahngasse, Str. Gärii, Str. Rujii (um 1920)
  9. Str. Nouä
    Neugasse
    Früherer Name: Str. Veseudului
  10. Str. Horea (nur noch die Westseite der ehem. Str. Horea bis zum Beginn der Str. Crisan)
    Grodengasse
    Frühere Namen: Geradengasse, Str. Groden
  11. Str. Closca
    Beinhaltet jetzt auch die Ostseite der ehem. Str. Horea. (Die „Str. Closca“ war immer nur von
    Rumänen bewohnt und hatte keinen deutschen Namen. Das gleiche gilt auch für die Straßen
    östlich der „„Hill“)
  12. Str. Crisan
    Schwimmschulgasse, „Wisken“
  13. Str. Livezü
    Die Straße Hinter den Gärten vom „Wisken“.
  14. Str. Spitalului
    Die Straße hinter den Gärten der Westseite der Grodengasse, weiter entlang der Nordseite des
    Friedhofs bis zum Krankenhaus.
  15. Str. Scolii
    Die Straße hinter den Gärten der Südseite der Weihergasse.
  16. Str. Grädinilor
    Die Straße hinter den Gärten der Nordseite der Weihergasse
  17. Str. Dealului
    Nettert
  18. Str. Fabricii-Case
    Hirschelden (nördlicher Teil)
    Frühere Namen: Fabrikgasse, Str. Fabricii, Spitalgasse, Str. Spitalului.
  19. Str. Fabricii-Blocuri
    Die Blocksiedlung unterhalb der Steinburg
  20. Str. Abatorului
    Schlachthausgasse (südlicher Teil des Hirschelden, weiter über die „Strohbrücke“ zur
    „Klimes“)
    Früherer Name: Klemensgasse
  21. Mihai Eminescu
    Im Stadtteil „Klimes“
  22. Muncitorilor
    Im Stadtteil „Klimes“
  23. Izvorului
    Im Stadtteil „Klimes“
  24. Str. Plevna
    „Hill“
    Hierzu gehört auch die Verbindungsgasse zwischen dem „FHomm“ und der Neugasse,
    genannt „Das Gässchen“.
  25. Str. Bisericüi
    Die Straße links der „Homm“ – Brücke am linken Harbachufer
  26. Str. Floreasca
    Die Straße nördlich des rumänischen Friedhofs
  27. Str. Grivifa
    Die Straße westlich des rumänischen Friedhofs
  28. Progräzii
    Die Straße in der Nähe des rumänischen Friedhofs
  29. Str. Smirdan

    Die Einfallstraßen Agnethelns aus Richtung Hermannstadt – Mediasch und Schäßburg –
    Fogarasch wurden mit zweisprachigen Ortschildern, Agnita-A gnetheln bestückt.

Autor: Kurt Breckner